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[36 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

B) Von Esra bis R. Juda hanasi.

§ 144. Monatsnamen und Jahresanfang.

Es wurde schon darauf hingewiesen (S. 12), daß die alten kanaanäischen Monatsnamen etwa im 1. Jahrtausend v. Chr. in der

[§144. Monatsnamen und Jahresanfang. 37]

jüdischen Datierung zurücktreten und daß von da ab die Monate nur nach Ordnungszahlen benannt werden. Dieser Gebrauch hielt sich weit über die Zeit nach der Rückkehr der Juden aus dem Exil (538 v. Chr.). Dann sieht man in den Schriften allmählich neue Monatsnamen in Anwendung kommen, welche die Juden während der babylonischen Gefangenschaft von den Assyrern und Babyloniern übernommen haben. Dies sind die sog. spätbabylonischen Monats­namen, die schon bei der Zeit­rechnung der Babylonier (I 117 f.) angeführt wurden und sich in sehr großer Zahl auf den babylonischen Tontafeln vorfinden. Es sind folgende:


Jüdische
Monate
Babylon.
Monate
Zahlen-
namen

Jüdische
Monate
Babylonische
Monate
Zahlen-
namen
1.  ניסן NisanNisannu 1.Monat 7.  תשרי TišriTašritu 7.Monat
2.  אייר IjarAiru 2.,, 8.  מרחשון MarchešwanArach-samna 8.,,
3.  סיון SiwanSivannu 3.,, 9.  כסלו KislevKisilivu 9.,,
4.  תמוז TammuzDûzu 4.,, 10.  טבת ṬebetDhabitu 10.,,
5.  אב AbAbu 5.,, 11.  שבט ŠebatSabadhu 11.,,
6.  אלול ElulUlulu 6.,, 12.  ארר AdarAddaru 12.,,

Der unmittelbare Zusammenhang zwischen den babylonischen und den jüdischen Namen ist offenbar; den hauptsächlichen Unterschied bilden die Namen Arach-samna = Marchešwan; der babylonische Name heißt hier wörtlich „der achte Monat“ und gehört vielleicht einer Zeit an, in der die Monate in Babylonien nur gezählt wurden, der hebräische Marchešwan ist wahrscheinlich eine lautliche Umformung desselben1. Betreffs der Etymologie der Namen verweise ich auf die Ablei­tungen, welche früher (a. a. O.) gegeben worden sind. Hervorzuheben wäre hier aber, daß Ni-sa-an-nu von nesû (hebr. נסע) = bewegen, springen, fortschreiten, ableitbar scheint und auf die Bedeutung Monat des Fortschreitens" (der Natur, Frühlingsmonat) schließen läßt; ferner bedeutet Tiš-ri-tu (Tišri) „Beginn, Anfang“, nämlich des zweiten Halbjahrs. Die Erklärung der jüdischen Monatsnamen hat, bevor ihre Quelle in den babylonischen Tontafeln entdeckt wurde, manche Schwierigkeiten gemacht; Benfey und Stern versuchten die Ableitung aus den altpersischen Zendformen und aus persischen Namen, welche die Juden in einzelnen Gegenden Persiens kennen gelernt haben sollten; andere glaubten in den syrischen Monats­namen, welche sie als älter hinstellten, die Vorläufer der jüdischen zu erkennen2. Jedoch findet


1) Rawlinson will den Monat Arach-samna mit dem Margazana der Inschrift von Behistân identifizieren, hat aber damit wenig Zustimmung gefunden (s. I 276).

2) Benfey u. Stern, Über die Monatsnamen einiger alten Völker, Berlin 1836, S. 120—175; s. auch L. M. Lewisohn, Geschichte u. System d. jüd. Kalenderwesens, Leipz. 1856, S. 4. — Es ist merkwürdig, daß der Verfasser eines ganz modernen Werkes (Burnaby, Elements of the Jewish and Muhammedan Calendars, London [Fortsetzung der Fußnote]

[38 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

sich schon im jerusalemischen Talmud (Rosch haschana I 21) die Tradition, daß die jüdischen Monatsnamen aus Babylonien stammen.

Die babylonischen Monats­namen haben nach der Rückkehr aus dem Exil nicht ohne weiteres bei den Juden Eingang gefunden. Der Prophet Sacharja (519 v. Chr.) nennt neben den Namen noch die früher gebrauchten Ordnungszahlen, der Verfasser der aramäischen Urkunde Esra VI 15 und Nehemia (Mitte des 5. Jahrh.) haben die Namen ohne die Ordnungs­zahlen. Esra in der Denkschrift und der Chroniker haben nur die Ordnungszahlen in Gebrauch. Selbst in dem noch jüngeren Buche Esther sind meist noch die Ordnungs­zahlen und dahinter der Monatsname gesetzt (mit Ausnahme einiger Stellen). Danach muß es ziemlich lange gedauert haben, ehe die babylonischen Monatsnamen Gemeingut des Volkes geworden sind. — Im folgenden gebe ich die biblischen Stellen an, wo die Monate vorkommen, und in Klammern die talmudischen und anderweitigen2 Quellen:

  1. Nisan. Nehemia II 1, Esther III 7. (Mischna Pesachim IV 9, Schekalim III 1, Rosch haschana I 1. 3. 4. Taanith I 2. 7. IV 5. Nedarim VIII 5. Bechoroth IX 5. Euting, Nabatäische Inschr. aus Arabien, Berlin 1885, n. II 4, V 3, X 7, XI 7, XII 9, XVI 3, XX 8, XXI 4. De Vogüé, Syrie centrale, Inscript sémit., Paris 1868 [Palmyr. Inschr. n. 1. 2. 4. 6. 18. 23 u. a.]).
  2. Ijar, (Rosch haschana I 3. Euting, Nabat. Inschr. n. VIII 10, IX 9, XIII 8, XXVII 13. De Vogüé [Palmyr. n. 88]).
  3. Siwan. Esther VIII 9. (Schekalim III 1, Bechoroth IX 5. De Vogüé [Palmyr. n. 33 a. b.]).
  4. Tammuz. (Taanith IV 5, 6).
  5. Ab. (Pesachim IV 5, Schekalim III 1, Rosch haschana I 3, Taanith II 10, IV 5. 6. 7, Megilla I 3, Bechoroth IX 5. Euting n. VII 5. De Vogüé).
  6. Elul. Nehemia VI 15. (Schekalim III 1, Rosch haschana I 1. 3, Taanith IV 5, Bechoroth IX 5. 6. Euting n. I 3. De Vogüé).
  7. Tišri. (Schekalim III 1, Rosch haschana I 1. 3. 4. Bechoroth IX 5. De Vogüé).
  8. Marchešwan. (Taanith I 3. 4. De Vogüé [auf palmyr. Inschr. = Kanun]).

[Anfang der Fußnote] 1901, S. 6) noch die syrische Abkunft der jüdischen Monatsnamen erwähnt. An diesem Autor sind also die Entdeckungen der letzten 30 Jahre auf dem Gebiete der Assyriologie spurlos vorübergegangen.

1) „Die Namen der Monate kamen in ihrer Hand (d. h. der aus dem Exil heimkehrenden Juden) aus Babel herauf.“

2) Entnommen aus E. Schürer, Geschichte d. jüd. Volkes, 3. Aufl., I 746.

[§ 144. Monatsnamen und Jahresanfang. 39]
  1. 9. Kislev. Sacharja VII 1, Nehemia I 1. (Rosch haschana I 3, Taanith I 5. De Vogüé [auf palmyr. Inschr. = Kislul oder Kaslul]).
  2. 10. Ṭebet. Esther II 16. (Taanith IV 5. Euting n. III 2, XIV 9, XV 8. De Vogüé).
  3. 11. Šebat. Sacharja I 7. (Rosch haschana I 1. Euting n. IV 9. De Vogüé).
  4. 12. Adar. Esther III 7. 13, VIII 12, IX 1. 2. 15. 17 ... [Sche­kalim II, III 1. Rosch haschana I 3, Megilla 14, III 4, Nedarim VIII 5, Edujoth VII 7, Bechoroth IX 5. Euting n. XXIV 6. De Vogüé. — I Makk. VII 43. 49, II Makk. XV 361).

Die Monatsnamen sind, wie man sieht, die gleichen, wie sie mit wenigen Veränderungen auch bei den an Judäa grenzenden aramäischen Stämmen und im palmyrenischen Reiche gebräuchlich wurden.

Eine wegen ihres hohen Alters wichtige Ergänzung des Materials der Monatsnamen bieten die später (§ 146) zu erwähnenden Namen, welche aus dem 5. Jahrh. v. Chr. uns durch die Papyri von Assuan dargeboten werden.- In diesen Urkunden kommen vor: אב (Ab) [Urkunde No. 5], אלול (Elul) [1 u. 7], תשרי (Tišri) [6], כסלו (Kislev) [2, 3, 4, 8], שבט (Šebaṭ) [9]2.

Der Jahresanfang des bürgerlichen Jahrs blieb in der zweiten Epoche der alte, da, wie früher (§ 141) bemerkt, der Jahresbeginn mit Frühjahr die spätere Sitte ist. Nehemia, der es im Exil unter den in Persien zerstreuten Stammesgenossen bis zu einem der Mund-


1) Sacharja I 7: Am 24. Tage des 11. Monats, das ist der Monat Šebaṭ, im 2. Jahr des Darius. — VII 1: Im 4. Jahr des Königs Darius erging Jahves Wort an Sacharja am 4. des 9. Monats, im Kislev .... Nehemia II: Und es ereignete sich im Monat Kislev des 20. Jahres. — II 1: Es war im Monat Nisan des 20. Jahres. — VI 15: Die Mauer wurde fertig am 25. Elul nach 52 Tagen. — Esther III 7: Im 1. Monat, d. i. der Monat Nisan, warf man das Los .... bis zum 12. Monat, d. i. der Monat Adar. — II 16: Esther ward in den Palast ge­bracht am 10. Monat, d. i. im Monat Ṭebet. — III 13: Zu vernichten alle Juden vom Knaben bis zum Greise ... am 13. Tage des 12. Monats, d. i. der Monat Adar. — VIII 9: Es wurden die Schreiber des Königs berufen in jener Zeit im 3. Monat, d. i. im Monat Siwan ... 12: ... am 13. des 12. Monats, d. i. der Monat Adar. — IX 1: ... im 12. Monat, d. i. der Monat Adar. — Mehrere Monatsnamen (Elul, Kislev, Šebaṭ, Adar) kommen auch in den Makkabäer­büchern vor.

2) Im Papyr. Sachau, welcher, wie der obengenannte von Assuan, einen Teil zusammen­gehöriger Urkunden bildet (Drei aramäische Papyrus­urkunden aus Elephantine, Abhdlg. Berlin. Ak. d. W. 1907, S. 1—46) kommen vor: תמוז (Tammuz) u. מרהשון (Marchešwan) [Zeile 4 u. 19, 30]. — Der Siwan auf einer aramäischen Inschrift von Assuan, vom 7. Jahre des Artaxerxes (458 v. Chr.) (Compt. rend. de l'Acad. d. Inscr. 1903, p. 264—276 = Lidzbarski, Ephemeris II 2, 221).

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schenken des Königs gebracht hatte, rechnet (I 1, II I) vom Herbste. Im 20. Jahre erhielt er von Artaxerxes I. die Erlaubnis, nach Jerusalem zurückzukehren, um sich von der Lage der Verhältnisse in Judäa überzeugen zu können. Die Daten1 in der Erzählung des Nehemia lassen sich nur vereinigen, wenn Nehemia das bürger­liche Jahr vom Tišri an rechnet. Ferner wurde nach Esra (III 1) am 1. Tišri auf den Trümmern des Tempels das Brandopfer wie in alter Zeit dargebracht und dem Volke das Gesetz vorgelesen. Außer­dem war der 1. Tišri damals als ein besonderer Festtag, truah-Tag (s. § 143), ausgezeichnet, der den beginnenden Herbst ankündigte und einleitete. Auch das Bauernjahr, das Sabbat- und Jobeljahr2 rechnete man von altersher, wie auseinandergesetzt worden ist, vom Herbste.


1) I 1: Es ereignete sich im Monat Kislev des 20. Jahres, daß ich zu Susa in der Königsburg war. — II 1: Und es war im Monat Nisan des 20. Jahres des Königs Artaḫšasta (als) Wein unter meiner Aufsicht (war) ....

2) Die Mischna erklärt (Traktat „Anfang des Jahres“) die Jahresanfänge folgendermaßen: Es gibt vier Jahresanfänge. Am ersten Tage im Nisan ist der Jahresanfang für die Könige und für die Feste. Am ersten Tage im Elul ist der Jahresanfang für die Verzehntung des Viehes. Am ersten Tage im Tišri ist der Jahresanfang für die Jahre und für das Sabbatjahr und die Jobel­jahre, für das Pflanzen und für die Kräuter. Am ersten Tage im Monat Šebaṭ ist der Jahresanfang für die Baumfrucht (betreffs deren Verzehntung).

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