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[80 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

§ 151. Die Zeitrechnung der Samariter und der Karäer.

Schließlich ist noch die Zeitrechnung zweier jüdischer Sekten, der Samariter und der Karäer (Karaiten2), zu erwähnen.

Von den Samaritern3, einer im Altertum bedeutenden Sekte in Nord­palästina, ist nur noch (sie waren seit dem Aufstande unter Iustinian 529 n. Chr. fast vernichtet) eine geringe Zahl in Nabulus (dem alten Sichem) übrig. Wie sich die Samariter in religiöser Beziehung streng geschieden von den Juden hielten, differieren sie


2) Die Nachrichten über die Zeitrechnung dieser Sekten hat Herr D. Sidersky gesammelt; ich lasse dieselben mit mehreren Zusätzen von mir folgen.

3) Über Geschichte und Literatur der Samariter s. Artikel Samaritaner in Herzog-Hauck Realenzykl. f. prot. Theol. u. Kirche, XVII, 1906; über jene der Karäer ibid. X, 1901.

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von diesen auch in der Zeitrechnung. Der Anfang ihrer Monate ist darin charakte­ristisch, daß derselbe nicht an das Erscheinen des Neulichts geknüpft wird, wie bei den Juden, sondern daß die wahre Konjunktion des Mondes zugrunde gelegt wird. Wenn die Konjunktion in den Nachtstunden oder am Morgen, jedoch wenigstens 6 Stunden vor dem Mittag statthatte, beginnt der Monat mit dem Konjunktions­tage; war die Konjunktion später oder am Nachmittage, so beginnt der Monat am folgenden Tage. Im ersteren Falle hat der Monat 30, im andern 29 Tage. Die Berechnung der Konjunktionszeiten geschieht nach sehr alten Regeln und Tafeln, welche von einer Generation der andern überliefert werden. Von den Ober­priestern werden derzeit noch alle Halbjahre Kalender mit den voraus­berechneten Monats­anfängen an die samaritischen Gemeinden ausgegeben. Drei solcher Kalender sind von Heidenheim1, zwei von Sylvestre de Sacy2 ver­öffentlicht worden. Die letzteren beiden Kalender (für die Jahre 1235 und 1236 Hidschra) ent­halten z. B. die Konjunktions­zeiten in Tagen, Stunden und Bruchteilen der Stunden, außerdem die eintretenden Finsternisse. Das Jahr ist ein gebundenes Mondjahr. Bei der Be­stimmung des Jahranfangs halten sich die Samariter, nach einem Briefe eines ihrer Oberpriester an Lord Huntington3, dabei an das Sonnen­jahr der Syrer. Man achtet darauf, ob die Konjunktion im Anfangsmonate mit dem 12. Adar der Syrer zusammentrifft oder später eintritt. Der beginnende Monat ist dann der erste des Jahres d. h. Nisan, etwa dem 7. Monat (Redscheb) des mohamme­danischen Jahrs entsprechend, und das Jahr ein Gemeinjahr von 12 Monaten. Fällt aber der Erste des Monats früher als auf den 12. Adar, auf den 11. oder vorher, so wird ein Schaltmonat (Adar II) eingeschoben, und erst der nächste Monat ist der Erste des neuen Jahres. Die Monatsanfänge des Samariterkalenders stimmen danach nicht ganz mit jenen des reformierten jüdischen Kalenders überein. — Zur Zählung der Jahre wird die Ära der Hidschra gebraucht, jedoch kommt bei Datierungen auch eine Ära der Schöpfung (4439 v. Chr.) sowie Zählung nach Jahren seit „der Ein­wanderung der Väter in das heilige Land“ u. a. vor4. — Die jüdischen Hauptfeste (Neujahr, Passah, Versöhnungsfest, Laubhütten, Wochenfest) werden auch von den


1) Bibliotheca samaritana, vol. III, 1896, p. 119 — 122.

2) Notices et extraits des manuscrits de la biblioth. du roi, T. XII, 1831, p. 153.

3) A. a. O., p. 178.

4) So trägt ein Brief des Oberpriesters Salameh (a. a. O., p. 67—77) das Datum: Dienstag 3. Dschumâdâ, oder 15. Tammuz 1224 der Syrer, 6246 der Hebräer, 3246 der Einwanderung der Kinder Israels iu Kanaan, oder 1808 der Christen.

Ginzel, Chronologie II. 6

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Samaritern gefeiert, einige mit Abweichungen, mit Prozessionen auf den Berg Garizim, strengen Fasten (Versöhnungsfest).

Die Karäer (diese Sekte wurde 761 n. Chr. von Anan ben David gegründet), ehemals in Palästina und Ägypten heimisch, im Mittel­alter nach Polen, Konstanti­nopel, auf die Halbinsel Krim zerstreut, erkennen bekanntlich die rabbinische Auslegung der Bibel nicht an, sondern folgen streng der alten Tradition. Demgemäß akzeptierten sie auch nicht die zyklische Berechnung der Neumonde nach dem reformierten jüdischen Kalender, sondern verblieben bis ins 15. Jahrh. bei der direkten Ermittlung der Monatsanfänge aus der Beobachtung des Neulichts. In einem Traktat aus dem 15. Jahrh. des Samuel ben Moses1 wird die Berechnung der Neumonde als Menschen werk und dem Gesetze widersprechend verworfen; bei der Neumond­bestimmung kommen die alten Maßregeln, Heran­ziehung von Zeugen, die Ent­scheidung des Richters usw. in Anwendung. Nachdem gegen 1470 n. Chr. ein Versuch des Elia Beschitzi, die Berechnung der Neumonde nach den Vorschriften des Maimonides bei den Karäern einzuführen, miß­glückt war, wurde in der neuern Zeit durch die Betätigungen des Chacham Samuel und seines Schülers Isaak ben Salomon eine Ver­besserung des Verfahrens erreicht. Der letzt­genannte veröffentlichte (1800) auf Grund neuer Beobachtungen für die Krim (45° n. Br.) berechnete Tabellen, mit deren Hilfe die Monatsanfänge bestimmt werden konnten. Seitdem ist die Methode der Neumondberechnung von den in der Krim ansässigen Karäern vervollkommnet worden. Nach J. Kokisow, der 1880 neue Tafeln veröffentlicht hat, verfährt man bei der Bestimmung des Monats­anfangs auf folgende Weise. Man berechnet sowohl die Zeit der Konjunktion wie die des Sonnenunter­gangs für die Krim (Kokisow gibt auch Tafeln für andere geographi­sche Positionen). Beträgt das Intervall zwischen diesen beiden Momenten weniger als 8 Stunden, so setzt man den Monatsanfang auf den zweiten Abend nach der Konjunktion; ist dagegen das Intervall größer als 22 Stunden, so beginnt der Monat gleich an dem der Konjunktion folgenden Abende. In zweifelhaften Fällen (ob das Neulicht am Abend gesehen werden kann) berechnet man die Mondlänge für den Augenblick des Sonnenuntergangs und die Höhe des Mondes über dem Horizont zur selben Zeit. Ist die Summe dieser beiden Bögen 13°, so wird der Monatanfang vom ersten Abend nach der Konjunktion gerechnet; im andern Falle, wenn die Summe jener beiden Werte 13° nicht erreicht, vom zweiten Abend. — Die Schaltung ist die des reformierten jüdischen Kalenders. — Der Anfangsmonat des Jahres ist


1) Fel. Kauffmann, Traktat üb. d. Neulichtbeobachtung u. d. Jahresbeginn bei den Karäern [Diss. Heidelberg], Leipzig 1903, S. 7—9. 16.

[§152. Tag und Woche. 83]

der Nisan, der Monat der reifenden Gerste1 — Betreffs der Feste halten sich die Karäer streng an die alte Tradition und feiern nur die alten Feste, z. B. nicht das Chanukkah, das Passah wird am ersten des 7. Monats gefeiert u. a. m.2.


1) S. die Kapitel IX—XIII über die Bestimmung des Monats Abib im Traktat von Samuel ben Moses.

2) Jost, Gesch. d. Judentums, II, S. 305.

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