Wie in den bisherigen Kapiteln schließt sich auch die Darstellung des vorliegenden Abschnittes der römischen Chronologie an den Stand des Wissens an, welcher um die Zeit
s (1826) erreicht war. Seit den Werken dieses Chronologen hat das archäologische und historische Material für die Erforschung des Altertums in ungeheurer Weise zugenommen; die römische Epigraphik, die Quellenforschung und Textkritik haben dementsprechend den Rahmen der früheren Anschauungen über römische Chronologie erweitert. Auf Grund der gefundenen Inschriften, Konsularfasten, Urkunden, Edikte usw. können eine Menge Details in der Zeitrechnung der Kaiserzeit erklärt und vervollständigt werden; für die frühere Epoche des römischen Kalenders ist freilich wenig Material beigebracht worden, welches über die Berichte der Klassiker hinausgeht, aber es konnten doch verschiedene Punkte aufgehellt werden. Man hat aber auch den ganzen Entwicklungsgang der römischen Zeitrechnung von der ältesten Zeit bis auf durch Aufstellung von Zeitrechnungssystemen darzulegen versucht. Den Anlaß hierzu gaben die Werke von (1852) und (1856—58). Beide Versuche kranken an Grundfehlern: das erstere Werk basiert auf allerlei seltsamen Hypothesen, das zweite stützt sich allzusehr auf die Zeitrechnung der Griechen. Einer der bedeutendsten Kenner des römischen Altertums, , der Bruder des vorgenannten, stellte (1859) deshalb eine neue Ansicht auf, welche lange als ein Grundpfeiler der römischen Chronologie betrachtet worden ist. Die seinem Werke noch anhaftenden Mängel erfuhren bald einige Widersprüche durch , , u. a.; später, seit dem Eingreifen von (1879) entwickelten sich die Meinungsverschiedenheiten zu einem heftigen, bis 1894 dauernden, in einigen Fragen bis in die neueste Zeit nachklingenden Kampfe, an welchem sich , , , , , , , , u. a. beteiligt haben.Die von diesen Autoren aufgestellten Systeme gehen von historischen oder astronomischen Grundlagen aus, nehmen mitunter dabei ein chronologisches Rechnungsprinzip mit (wie 1⁄4 Tage hat, schon für die sehr alte Zeit annehmen zu dürfen. Darauf sind dann Hypothesen gebaut worden, so z. B. daß die Erkenntnis eines Ausschaltungszyklus von 24 Jahren ebenfalls schon der alten Zeit zufalle; hat sogar (unter dem Einfluß dieser Hypothese) behauptet, daß der altrömische Kalender von bis ins 6. Jahrh. der Stadt nicht von den Jahreszeiten abgewichen sei. Nach meiner Ansicht ist die Voraussetzung eines 365 1⁄4 tägigen Jahres für die alte Zeit nicht nur astronomisch, sondern auch entwicklungsgeschichtlich unmöglich. Ich habe mich vielmehr im folgenden bemüht zu zeigen, wie die Römer allmählich, ohne von anderen Völkern ihre Zeitrechnung zu entlehnen, selbständig und bis zum 2. Jahrh. v. Chr. ohne Kenntnis der genaueren Länge des Sonnenjahrs ihren Kalender und die Festzeiten in Ordnung haben halten können.
) und suchen so den überlieferten Tatsachen (historischen Synchronismen, festgestellten Schaltjahren usw.) gerecht zu werden. Diese Arbeiten, mit einem großen Aufwand von Mühe und Scharfsinn aufgebaut, haben viele Punkte klar gelegt und manche früheren Irrtümer beseitigt; das Ideal, welches einzelne von ihnen angestrebt haben, nämlich die Lösung aller Fragen der römischen Chronologie durch ein einzelnes System, ist bis jetzt nicht erreicht worden, wie gleich im vorhinein bemerkt werden soll. Es scheint, daß die letzte Aufklärung vielmehr der Fortentwicklung der historisch-philosophischen Disziplinen, vor allem aber der Beschaffung weiterer entscheidender Funde oder Materialien überlassen bleiben wird. In einem Handbuche der Chronologie, wie in dem vorliegenden, welches den Leser über den Stand des gegenwärtigen Fortschrittes auf dem Gebiete der römischen Chronologie orientieren und ihm das Zurückgehen und Einarbeiten in die Spezial-Literatur erleichtern soll, kann die Darstellung jener Systeme nicht umgangen werden und sie ist dem Leser wichtiger als die Meinung, die der Verfasser dieses Buches selbst etwa über die römische Chronologie hat. Ich werde daher an passendem Orte eine Übersicht über die Grundlagen dieser Systeme und die durch sie erreichten Resultate geben und werde auf die wichtigsten Einwürfe aufmerksam machen, welche man den Meinungen entgegenhalten kann. — Den Standpunkt, den ich gegenüber der Entwicklungsgeschichte des römischen Jahres einnehme, möchte ich aber gleich hier hervorheben. Manche Chronologen, insbesonders , haben gemeint, die Kenntnis, daß das Jahr 365Von den Zeitelementen, mit denen sich die römische Chronologie beschäftigt, sind viele sehr alten Ursprungs, wie die Zeit des Tagesanfangs, die Zählung der Monatstage, oder sie haben im Laufe der
Ginzel, Chronologie II. 11
Entwicklung des Kalenders Veränderungen und Bereicherungen erfahren, wie die Zeichen der Tage, die Feste u. a. Da von manchen dieser Dinge bei der Geschichte der römischen Jahrformen die Rede sein wird, so scheint es zweckmäßig, in der folgenden Darstellung nicht die Geschichte des römischen Jahres voranzuschieben, sondern zuerst jene Zeitelemente zu beschreiben.