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[274 X. Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

C) Die Reform des römischen Jahres durch Caesar und Augustus.

§ 184. Das Jahr der Verwirrung und Caesars Reform.

Der Willkür der Pontifices und der dadurch eingerissenen Ver­wirrung im Kalender machte Julius Caesar ein Ende. Nachdem der­selbe im Mai 708 u. c. (46 v. Chr.), damals bereits mit Diktator­gewalt ausgerüstet, aus Afrika nach Rom zurückgekehrt war, erließ er ein Edikt, dessen Hauptpunkt besagte, daß das Jahr nunmehr zu 365 Tagen gerechnet werden und alle 4 Jahre (quarto quoque anno) ein Schalttag eingelegt werden solle — eine bedeutende Reform, denn damit hatte der vierjährige Schaltkreis 1461 Tage und der Durch­schnittswert eines Jahres betrug 365 14 Tage, eine gute Näherung an den wahren Wert, welche alle 4 Jahre das tropische Jahr um etwa  34 Stunden oder in 128 Jahren nur etwa um einen Tag zu lang er­scheinen ließ (s. I 32. 97).

Über die Herkunft des neuen Kalenders waren die Alten der Meinung, Caesar habe den Schaltkreis in Ägypten kennen gelernt1, während er sich dort aufhielt und mit alexandrinischem Wissen in Berührung kam. Als Ratgeber, deren sich Caesar bediente, fungierten wahrscheinlich mehrere Gelehrte; neben anderen un­genannten (Plutarch, Caes. 59) wird besonders Sosigenes (Plinius Hist. nat. XVIII 25. 57. 211) als solcher bezeichnet. Von Sosigenes ist jedoch nicht sicher, ob er ein Alexandriner gewesen2. Böckh ver­mutet als den Ratgeber Caesars einen griechisch gebildeten Astro­nomen, welcher von Porphyrios und Proklos erwähnt wird3. Die neueren Chronologen haben die ägyptische Herkunft des Caesarischen Kalenders größernteils bezweifelt; Lepsius allerdings hielt noch den ägyptischen Ursprung fest, jedoch Th. Mommsen führte Caesars Reform


1) So Appian, Bell. civ. II 154; Dio Cassius XLIII 26; Macrob., Sat. I 16, 39 vgl. 14, 3: Siderum motus, de quibus non indoctos libros reliquit, ab Aegyptiis disciplinis hausit. Lucan (Phars. X 184) läßt Caesar selbst während der Kämpfe sich der Sternkunde widmen:
Media inter proelia semper
stellarum caelique plagis superisque vacavi
nec meus Eudoxi vincetur fastibus annus.
Betreffs der Schrift de astris, welche Caesar selbst verfaßt haben soll, vermutet Th. Mommsen, daß es sich um das Edikt handle, welches dem neuen Kalender bei­gegeben war.

2) Th. Mommsen, R. Chr. 78 Anm. 109.

3) Üb. die vierjähr. Sonnenkreise der Alten, Berlin 1863, S. 341.

[§ 184. Das Jahr der Verwirrung und Caesars Reform. 275]

im wesentlichen auf Eudoxos und auf eine Verbindung von dessen Kalender mit dem italischen Bauernjahre (s. S. 233 f.) zurück1; Böckh war der Ansicht, daß jener Anschluß an Eudoxos nicht allzuweit ausgedehnt gedacht werden müsse2. Soltau ging ganz auf das alt­italische Sonnenjahr zurück3. Aus den Darlegungen in den §§178 bis 181 haben wir gesehen, inwiefern Möglichkeiten gegeben sind, daß die Römer in der späteren Zeit der Republik den überschüssigen Vierteltag des 365tägigen Sonnenjahrs erkennen konnten, ohne auf den Orient oder Griechen­land angewiesen zu sein. Wenn diese Mög­lichkeit und die andere, daß die Römer mit der Zeit ein ihrem eigenen Lande angepaßtes Parapegma der Jahrpunkte und Jahres­zeiten aufstellen konnten, vorhanden war, so ist es, mit Th. Mommsen zu reden „sachlich seltsam, aus der Fremde zu holen, was man daheim längst besitzt“. Die Reform Caesars kann also ganz wohl aus der Erwägung jener Erfahrungen hervorgegangen sein, die man im Laufe der Zeit im eigenen Lande über die Verbesserung der Zeitrechnung gesammelt hatte. Ägyptischer Einfluß kann aber bei der Reform in­sofern mitspielen, als dieser die Entscheidung zur Annahme des 365 14tägigen Jahres und des vierjährigen Schaltkreises gegeben haben kann. In Ägypten wurde im Jahre 239 v. Chr. durch das Dekret von Kanopus (s. I 196) der offizielle Versuch gemacht, das 365 14tägige Jahr einzu­führen, und es scheint außerdem, daß Versuche zur Be­seitigung des Wandeljahrs schon früher aufgetaucht sind. Caesar war im Jahre 47 v. Chr., kurz vor der Zeit seiner Reform, in Ägypten; es wäre also möglich, daß er von jenen Verbesserungs­versuchen der Zeitrechnung gehört hat und daß er dadurch in seinem Vorhaben be­stärkt worden ist, das 365 14tägige Jahr, das ihm ohnehin bereits bekannt war, einzuführen.

Über die Reform berichtet Censorin, daß Caesar in seinem 3. Konsulatsjahre, d. i. 708 u. c. = 46 v. Chr. zwei außerordentliche Schaltmonate von zusammen 67 Tagen zwischen den November und Dezember und außerdem den gewöhnlichen Februar-Schaltmonat von 23 Tagen einschob, so daß dieses Jahr (statt 355 Tage) die außer­gewöhnliche Länge von 445 Tagen hatte. Die Angaben von Macrobius und Solinus kommen daneben, als Fehler und Mißverständnisse, nicht in Betracht4.


1) R. Chr. 79. 295.

2) A. a. 0. 341.

3) R. Chr. 164—167.

4) Censorin XX 8: Adeoque aberratum est, ut G. Caesar pontifex maximus suo III. et M. Aemilii Lepidi consulatu, quo retro delictum corrigeret, duos menses intercalarios dierum LXVII in mensem Novembrem et Decembrem interponeret, cum iam mense Februario dies III et XX intercalasset, faceretque eum annum [Fortsetzung der Fußnote]

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Da also das Jahr 3 Schaltmonate enthielt, so bestand es eigentlich aus 15 Monaten, was Suetonius1 bestätigt. Dio Cassius sagt2, daß 67 Tage eingeschaltet wurden, „nicht mehr, wie andere berichten“, was mit Censorin übereinstimmt, wenn der für das Jahr noch in Rechnung kommende Mercedonius nicht mitgezählt wird. Über die Verteilung der 67 Tage sind nur Vermutungen vorhanden, jedoch sind sie als 2 Schaltmonate, als mensis intercalaris prior und mensis intercalaris posterior, aufgefaßt worden3. — Betreffs der Frage, warum gerade 67 Tage dem Jahre 708 u. c. zugelegt wurden, erklärt Soltau, daß es sich dabei um die Kompensation von 3 Schaltmonaten = 22 + 23 + 22 = 67 Tagen handle, die von den Pontifices gegen die Ordnung in früheren Jahren ausgelassen worden sein müßten, was er durch seine Untersuchung über den Gang des Kalenders zwischen 563 — 708 u. c. glaubt bestätigen zu können4. Nach den Dar­legungen von Groebe, welchen ich den Vorzug geben möchte, folgt aus den oben (S. 271) erwähnten Untersuchungen über die Kalender­störungen der Schluß, daß in den 20 Jahren von Kal. Mart. 689 bis dahin 709, vom Übergangsjahre 708 abgesehen, nur 113 Tage ein­geschaltet worden sind, während bei Anwendung des Caesarschen Schaltprinzips und 365tägigen Jahres 203 Tage hätten eingeschaltet werden müssen. Die Differenz beider Beträge, nämlich 90 Tage = 67 + 23 Tage, holte Caesar nach, indem er die 23 Tage dem Kalender­jahre 707 (= 47 v. Chr.) als Schaltmonat, die übrigen 67 Tage (als 2 außerordentliche Monate) dem Kalenderjahre 708 beifügte; der bisherige Unterschied der Jahresanfänge im Amts- und Kalenderjahr (Ianuarius, Martius) wurde aufgehoben und beide vom 1. Januar ge­zählt. Dadurch erhielt das Kalenderjahr 707 die Zahl von 378 Tagen


[Anfang der Fußnote] dierum CCCCXLV, simul providens in futurum ne iterum erraretur.Macrob., Sat. I 14, 3: Factum est, ut annus confusionis ultimus in quadringentos quadraginta tres dies protenderetur (443 ist ein Schreibfehler oder durch die Überlieferung entstellt). — Solinus I 45 (edit. Mommsen 1864): Itaque Caesar universam hanc inconstantiam, incisa temporum turbatione composuit, et ut statum certum praeteritus error acciperet, dies vingti unum et quadrantem (?) simul intercalavit: quo pacto regradati menses de cetero statuta ordinis sui tempora detinerent; ille ergo annus solus trecentos quadraginta quattuor dies habuit. (Diese Stelle ist in der gegebenen Fassung unverständlich, wahrscheinlich haben Mißverständnis und Schreib­fehler gleich viel Anteil daran.)

1) Caes. 40: Quo autem magis in posterum e Calendis Ianuariis nobis temporum ratio congrueret, inter Novembrem ac Decembrem mensem interiecit duos alios, fuitque is annus, quo haec constituebantur, XV mensium cum intercalario, qui ex consuetudine in cum annum inciderat.

2) XLIII 26.

3) Cicero ad famil. VI 14: Ego idem tamen cum a. d. V. Kal. intercalares priores, rogatu fratrum tuorum, venissem mane ad Caesarem ...

4) R. Chr. 46—61. 149.

[§ 185. Das bissextum. 277]

(das Amtsjahr hatte 355 Tage), das Kalenderjahr 708 hatte 365, das Amtsjahr 445 Tage, und beide Jahre, Amts- und Kalenderjahr liefen von 709 (= 45 v. Chr.) an mit 365 Tagen vom 1. Januar an. Die Gleichung Kal. Ian. 709 ist indessen nicht 1. Januar, sondern wie wir gesehen haben (voriger Paragraph) = 2. Januar 45. Daß das letztere Datum zugleich dem Erscheinen des Neulichts, also einem lunarischen Monatsbeginn entspricht, wurde ebenfalls schon bemerkt. Caesar hat wahrscheinlich die Absicht gehabt, sein erstes reformiertes Jahr nach alter Weise, mit dem Sichtbarwerden der Mondsichel nach Neumond, beginnen zu lassen. Groebes Darlegung der Reform be­friedigt danach auch in diesem Punkte. Freilich „ging der Mond­lauf den julianischen Kalender nichts an“, wie Th. Mommsen bemerkt1, aber Caesar benutzte vielleicht den Zufall, der sich durch das Zu­sammentreffen der Mondsichel mit Kal. Ian. darbot, um seine Reform dem Volke in günstigem Lichte erscheinen zu lassen. Darauf beziehen sich möglicherweise die etwas konfusen Worte des Macrobius2: annum civilem Caesar habitis ad lunam dimensionibus constitutum edicto palam posito publicavit. — Es muß noch bemerkt werden, daß Macrobius in der genannten Stelle das Jahr 708 wegen der außer­ordentlichen Tageszahl minus confusionis ultimus nennt; Neuere be­zeichnen es kürzer als minus confusionis.


1) R. Chr. 277.

2) Sat. I 14. 13

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