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[330 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

§ 197. Die Schalt- und Ausgleichstage.

Die für das Mondjahr und für den Übergang von diesem zum Lunisolarjahr nötigen Schaltungs­verhältnisse sind bereits im I. Bande (S. 62—66) auseinandergesetzt worden. Das Abwechseln von je 6 hohlen Mondmonaten mit je 6 vollen ergibt ein Mondjahr von 354 Tagen; da aber das Mondjahr um 0,36707d größer ist als 354 Tage, so mußte man, um mit den Mondphasen in der Zeitrechnung in Über­einstimmung zu bleiben, eigentlich nach etwa 2 34 Mondjahren einen

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Tag einlegen, also das Jahr zu 355 Tagen rechnen. Verteilt man aber solche 355tägige Schaltjahre in einen Zyklus, so läßt sich eine hinreichende Übereinstimmung mit der Mondbewegung erreichen, wenn innerhalb von 8 Jahren drei Schaltjahre gezählt werden (I 64). Dasselbe Verhältnis 8 : 3 genügt, wenn noch keine besonderen Ansprüche an Genauigkeit gestellt werden, um das Mondjahr mit dem Sonnenjahr in Übereinstimmung zu bringen: man hat innerhalb von 8 Sonnenjahren 5 Mondjahre zu 354 Tagen zu rechnen und 3 Mondschaltjahre zu 384 Tagen einzulegen. Diesen letzteren achtjährigen Schaltzyklus des Lunisolarjahres (Oktaëteris) kennen wir durch Geminos (VIII) als eine der frühesten Perioden, deren sich die Griechen bei der Ordnung ihrer Zeitrechnung bedient haben (s. weiterhin § 206). Bei demselben Schriftsteller finden wir bei der Erklärung der Oktaëteris den eingeschobenen Satz1: „Das Jahr hat 354 Tage. Aus diesem Grunde nahm man den Monat nach dem Monde zu 29 12 Tagen, den Doppelmonat zu 59 Tagen an. Deshalb macht man einen Monat um den andern voll und hohl, weil der Doppelmonat nach dem Monde 59 Tage hat. Es gibt also im Jahre 6 volle und 6 hohle Monate, die Summe der Tage beträgt 354. Aus diesem Grunde macht man also einen Monat um den andern voll und hohl.“ Durch diese Worte wird bestätigt, daß man auf jeden vollen Monat einen hohlen folgen ließ. Aus diesem Umstände und aus den übrigen angedeuteten Verhältnissen folgt die Notwendigkeit von drei Arten eingeschalteter Tage: 1) eines Zusatz­tages zu einem hohlen Monate in den Jahren, welche auf 355 Tage gebracht werden sollten; 2) eines Ausgleichstages in jenen Schalt­jahren (13 monatlichen Jahren), welche mit einem hohlen Monate an­fingen; denn der 13. Monat würde dann, dem Wechsel hohler und voller Monate entsprechend, ein hohler gewesen sein und das Jahr nur 383 Tage (statt 384) gehabt haben; 3) eventuelle Schalttage als Ersatz der beiden vorgenannten, wie sie der betreffende Schaltzyklus einer Periode (Oktaëteris usw.) verlangte, um dem Wechsel voller und hohler Monate und der Tageszahl des Zyklus zugleich zu genügen. Hier interessiert uns der Monat und die Stelle des Schalt- oder Zusatztages im Monat. Ein Beispiel für die zweite Art von Aus­gleichstagen bietet eine Inschrift aus der Zeit des Archonten Leo­stratos (Corp. Inscr. Att. II 1 no. 263) Ol. 119, 2 (= 303 v. Chr.) 12. Prytanie. Dieses Jahr war ein Schaltjahr von 384 Tagen; da


1) VIII 34: Ἄγεται δὲ ὁ ϰατὰ σελήνην ἐνιαυτὸς ἡμερῶν τνδ´. δι᾿ αἰτίαν δὲ τοιάνδε ὑπέλαβον εἶναι τὸν ϰατὰ σελήνην μῆνα ἡμερῶν ϰϑ´ ϑ´´, τὴν δὲ δίμηνον ἡμερῶν νϑ´. ὅϑεν ϰοῖλον ϰαὶ πλήρη μῆνα παρὰ ἄγουσιν, ὄτι ἡ δίμηνος ἡ ϰατὰ σελήνην ἡμερῶν ἐστι νϑ´. γίνονται οὖν ἐν τῷ ἐνιαυτῷ ἓξ πλήρεις ϰαὶ ἓξ ϰοῖλοι· συνάγονται δὲ ἡμέραι τνϑ´. διὰ δὴ ταύτην τὴν αἰτίαν μῆνα παρὰ μῆνα πλήρη ϰαὶ ϰοῖλον ἄγουσιν. Vgl. auch VIII 3.

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es mit einem hohlen Monate anfing, mußte zu dem letzten Monat, dem 29tägigen Skirophorion, noch ein Zusatztag hinzukommen, um das Jahr auf 384 Tage zu bringen. Der 29. Tag des Skirophorion war ἔνη ϰαὶ νέα; da noch ein Tag zu ihm hinzukam, nannte man den 29. Tag ἔνη ϰαὶ νέα προτέρα, den 30. Tag ἔνη ϰαὶ νέα ἐμβόλιμος, wodurch der Wortlaut der Inschrift Σϰιροφοριῶνος ἔνῃ ϰ[αὶ νέ]ᾳ προτέρᾳ, μιᾷ ϰαὶ τραϰοστ[ῇ] τῆς πρυτ. ihre Erklärung erhält1. Den Monat Skirophorion betrachten einige überhaupt als den Monat, in welchem der Zusatztag eingelegt worden sei; besonders Schmidt hält diesen letzten Monat des Jahres für den bei regulärer Schaltung üblich gewesenen. Als Stütze für diese Ansicht wird eine Angabe des Glaukippos (sein Werk ist unbekannt) herangezogen, welche nach der Übersetzung des Macrobius (Sat. I 13) wie folgt gelautet hätte: „(Graeci) ultimo anni sui mensi superfluos interserebant dies ..... confecto ultimo mense ..... intercalabant.“ Der mittelalterliche Theodor Gaza (c. 19) gibt in seiner griechischen Zurückübersetzung des Macrobius die Stelle in dem Sinne, daß die Athener dem letzten Monat des Jahres die überzähligen Tage (τὰς περιττὰς ἡμέρας) hinzu­gefügt hätten. Böckh hat aber schon bezweifelt, ob nur der Skiro­phorion allein für die Einschaltung des Zusatztages in Betracht ge­kommen sei. Unger glaubt, daß in die oben angeführte Notiz des Glaukippos durch Macrobius ein Mißverständnis eingeführt worden sei, indem ersterer unter ultimus mensis nicht den letzten Monat, sondern nur das Ende eines Monats verstanden habe. Der Schalttag kommt auch in anderen Monaten als dem Skirophorion vor, so im Monat Munychion (Corp. Inscr. Att. II 1 no. 247) neben dem hohlen Skirophorion, im Elaphebolion (ibid. no. 334) und im vorletzten Monat, dem Thargelion. Während Schmidt diese Fälle bloß als Ausnahme­fälle von der Regel, daß der Skirophorion mit dem Zusatztage be­dacht wurde, hinstellt, ist Aug. Mommsen zu der Ansicht gelangt, daß die Verwendung des Schalttages in dem inschriftlich überlieferten Material so viel Unordnung zeige, daß man eine Regel darin kaum werde nachweisen können, wenngleich anzunehmen sei, daß ein Prinzip beob­achtet wurde. Nachweisbar ist, daß aus verschiedenen Gründen, z. B. aus religiösen Rücksichten oder durch Willkür der Archonten Aus­merzungen und Einschaltungen von einzelnen Tagen, in der späteren Zeit selbst von Tagesgruppen, stattgefunden haben. So wurde z. B. der 2. Tag des Boëdromion (δευτέρα ἱσταμένου) ausgemerzt, weil an diesem Tage Poseidon und Athene um den Besitz von Attika ge­stritten hatten2; desgleichen von den Athenern der Todestag der


1) Vgl. A, Böckh, Mondzyklen I 54, II 67.

2) Plutarch, De fraterno amore, c. 18 (Symp. Q. IX 6).

[§ 198. Attische und nichtattische Monatsnamen. 333]

Panathenaïs, Herodes' Tochter u. a.1. Mommsen bezweifelt deshalb, ob die von Böckh, Unger und Schmidt vertretene Hypothese, daß nur dem hohlen Monate der Zusatztag zukomme, richtig sei. In­dessen darf man sich der erwähnten Hypothese wohl im allgemeinen bedienen, da sie eine logische Begründung für sich hat: dem vollen Monat konnte man den Zusatztag nicht anhängen, da der Monat dann 31 Tage gehabt hätte, diese Zahl war aber in einem Mond­jahre ausgeschlossen. Eine Konsequenz der Hypothese ist, daß sie die Aufeinanderfolge von drei vollen Monaten mit sich bringt. Was die Bezeichnung der Zusatztage in den Inschriften anbelangt, so heißen dieselben gewöhnlich ἐμβόλιμοι, wie z. B. in der Inschrift aus der Zeit des Archon Koroibos, Ol. 118, 3, 10. Pryt. (Corp. Inscr. Att. II 1, no. 247, p. 105): Μουνυχιῶνος ἔνει ϰαὶ νέα ἐμβολίμῳ, ἐνάτει ϰαὶ εἰϰοστεῖ τῆς πρυτ. Es wird also gewöhnlich der letzte Tag des hohlen Monats mit seinem Namen zwar benannt, aber προτέρα hinzugefügt, wie oben im Beispiel (S. 332), dann folgt der Zusatztag mit dem Namen des Vortages und der Beifügung ἐμβόλιμος.


1) Vgl. Aug. Mommsen, Chronol., S. 132—137.

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