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[§ 199. Die Datierung nach Prytanien. 337]

§ 199. Die Datierung nach Prytanien.

Durch die Reformen der attischen Verfassung seit Kleisthenes (Ol. 67, 1) wurde das Volk in zehn Stämme (φυλαί) geteilt; jeder Stamm wählte jährlich 50 Männer, welche zusammen den Rat der Fünfhundert bildeten. Jedem dieser Stämme wurde alljährlich vermittelst einer durch das Los bestimmten Ordnung die Staats­verwaltung übertragen. Der Jahresteil, durch welchen von den einzelnen Stämmen die Verwaltungs­geschäfte hindurch geführt wurden, hieß eine Prytanie (πρυτανεία). Anfänglich waren die Stämme in folgender Reihe geordnet: 1. Erechtheïs, 2. Aigeïs, 3. Pandionis, 4. Leontis, 5. Akamantis, 6. Oineïs, 7. Kekropis, 8. Hippothontis, 9. Aiantis, 10. Antiochis. In dieser Weise bestand die Ordnung bis Ol. 118, 2 (807 v. Chr.). In letzterem Jahre wurde die Stämmezahl um zwei (Antigonis, Demetrias)1 vermehrt und diese in der Ordnung obenan gesetzt, so daß die Folge nunmehr war: 1. Antigonis, 2. Deme­trias, 3. Erechtheïs, 4. Aigeïs, 5. Pandionis, 6. Leontis, 7. Akamantis, 8. Oineïs, 9. Kekropis, 10. Hippothontis, 11. Aiantis, 12. Antiochis. Was die spätere Periode betrifft, so war man bis in die neuere Zeit über die Verteilung und Zahl der Phylen sich nicht klar. Erst Beloch und Philios haben gefunden, daß zwischen etwa 229 bis


1) S. Plutarch, Demetr. 10.

Ginzel, Chronologie II. 22

[338 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

221 v. Chr. noch eine 18. Phyle, die Ptolemaïs, in die Reihe der 12 Stämme eingeschoben worden ist. Diese Reihe der 13 Phylen bestand bis zum Jahre 200 v. Chr. in folgender Ordnung fort:

1.Antigonis5.Pandionis9.Oineïs
2.Demetrias6.Leontis10.Kekropis
3.Erechtheis7.Ptolemaïs11.Hippothontis
4.Aigeïs8.Akamantis12.Aiantis




13.Antiochis.

Nach J. Kirchner, welcher diese Aufstellung bestätigt1, fällt die Er­richtung der Ptolemaïs nicht vor 224 v. Chr. und läßt sich inschrift­lich zuerst im Jahre des Menekrates (222) nachweisen2. Im Jahre 200 v. Chr. wurden die Phylen Antigonis und Demetrias abgeschafft, dagegen eine neue, Attalis, errichtet, so daß seitdem wieder eine Zwölfreihe und zwar wie folgt bestand:

1.Erechtheis5.Ptolemais9.Hippothontis
2.Aigeis6.Akamantis10.Aiantis
3.Pandionis7.Oineis11.Antiochis
4.Leontis8.Kekropis12.Attalis.

Zur Zeit des Kaisers Hadrian endlich nannten die Athener einen weiteren 13. Stamm Hadrianis und setzten diesen in der letztgenannten Zwölfreihe an die siebente Stelle.

Mit der Zeit bürgerte sich in Athen der Gebrauch ein, die öffent­lichen Verlautbarungen (Dekrete, Verkäufe, Zahlungen usw.) nach den Tagen der Prytanien zu datieren und außerdem das entsprechende Datum des Kalenders beizufügen. Das Zusetzen des Kalenderdatums scheint aber erst in der späteren Zeit — nach Aug. Mommsen seit Ol. 110, 3 = 338 v. Chr. — Usus geworden zu sein. Durch diese Darbietung von Gleichungen zwischen Prytaniendatierung und Kalender­tag oder auch durch die bloßen Prytanien­angaben sind uns die in den Inschriften und Dokumenten überlieferten Daten von großer Wichtig­keit für die attische Zeitrechnung geworden.

Zuerst kommen die Prytanien der älteren Zeit, also nur zehn Stämme in Betracht. Jede Prytanie dauerte danach (theoretisch)  110 Jahr, d. h. in Gemeinjahren 35 bis 36 Tage, in Schaltjahren


1) Die Zusammensetzung der Phylen Antigonis und Demetrias (Rhein. Mus. f. Philol., 47. Bd., 1892, S. 550—557; s. auch Götting. Gelehrte Anzeigen, 162. Jahrg., 1900, I S. 450 im Referate über Ferguson, The Athenian archons).

2) Im § 219 werden wir 13 Phylen für die Jahre 221, 215 u. 212 v. Chr. durch Prytaniegleichungen aus attischen Dekreten bestätigt finden.

[§ 199. Die Datierung nach Prytanien. 339]

38 oder 39 Tage, von der Verteilung der überschüssigen Tage vorläufig abgesehen. Zu jeder Datumangabe ist die Ordnungszahl und der Tag der Prytanie nötig. Die Dekrete usw. zählen die Prytanientage von πρώτη (1.), δευτέρα (2.), τρίτε (3.) usf. bis δεϰάτη (10.), hierauf ἑνδεϰάτη (11.), δωδεϰάτη (12.), τρίτε ϰαὶ δεϰάτη (13.) usf. bis ἐνάτη ϰαὶ δεϰάτη (19.), weiter εἰϰοστή (20.), μία ϰαὶ ἐιϰοστή (21.), δευτέρα ϰαὶ ἐιϰοστή (22.) bis ἐνάτη ϰαὶ ἐιϰοστή (29.), dann τριαϰοστή (30.), μία ϰαὶ τριαϰοστή (31.), δευτέρα ϰαὶ τριαϰοστή (32.), usf. bis ἕϰτη ϰαὶ τριαϰοστή (36.), eventuell bis ἐνάτη ϰαὶ τριαϰοστή (39.) oder τεσσαραϰοστή (40.). Bisweilen wird auch ἡμέρα hinzugesetzt, z. B. δευτέρα ἡμέρα τῆς πρυτανείας; in den älteren Inschriften kommen auch Formeln mit Kardinalzahlen vor, z. B. ἐσεληλυϑυίας ἓξ ἡμέραι τῆς πρυτανείας (Corp. Inscr. Att. I, no. 273, p. 146).

Die Nützlichkeit der Prytaniendatierung für unsere Erkenntnis der attischen Chronologie will ich wenigstens an zwei Beispielen illustrieren. — In einer Inschrift, die der Zeit des Archon Aristophon angehört (Ol. 112, 3 = 330 v. Chr., s. Tafel VI am Schluß des Bandes), heißt es [die Ergänzungen durch Köhler sind eingeklammert]: [ἑπὶ Ἀριστ]οφῶντ[ος ἄρχοντος, ἑπὶ τ]ῆς Λεων[τίδος ἐνάτης πρυ]τανεία[ς, ᾖ ...... [Ἀν]τίνου Πα[ιανιεὺς ἐγραμμ]άτευεν· Θα[ργηλιῶνος τετ]ράδι ἑπὶ δ[έϰα, δευτέρᾳ] ϰαὶ τριαϰοσ[τῇ τῆς πρυταν]είας ..... (Corp. Inscr. Att. II 1, no. 177, p. 82)1 Der in der Inschrift nicht ganz vollständig erhaltene Tag der Prytanie läßt sich nach Böckh nur zu [δευτέρᾳ] ϰαὶ τριαϰοστῇ, also zu 32 ergänzen, und aus der Inschrift folgt somit für das Jahr 330 v. Chr. die Gleichung 14. Thargelion = 32. Tag, IX. Prytanie. Diese Gleichung paßt nicht auf ein Gemeinjahr von 354 oder 355 Tagen; denn bei Voraus­setzung von 10 Prytanien im Jahre würde der 32. Tag der IX. Pryt. schon der 312. oder 313. Tag des Jahres sein, während die Tagsumme des Gemeinjahrs bis zum 14. Thargelion erst 309 Tage ergibt. Nimmt man dagegen das Jahr als Schaltjahr von 384 Tagen, so ist der 14. Thargelion der 339. Jahres­tag, und teilt man der IX. Pryt. 38 Tage, der X. Pryt. 39 Tage zu, wie es im Schaltjahre ziemt, so fällt der 32. Tag IX. Pryt. um 45 Tage vor den Jahresschluß, d. h. auf den 339. Jahrestag. Somit ist vorauszusetzen, daß Ol. 112, 3 ein Schaltjahr gewesen. — Einen ähnlichen Fall bietet ein Volksbeschluß unter dem Archon Philokles (Ol. 114, 3 = 322 v. Chr.), nach Böckhs und Köhlers sicherer Her­stellung der Inschrift2 wie folgt lautend: [Ἐπὶ] Φιλοϰλέους ἄρχοντος, ἐπὶ τῆς Οἰνεῖδος ἐνά[της] πρυτανε[ί]α[ς], ᾗ Εὐϑυγένης Ἡφαιστοδήμου Κηφι[σιε]ὺς ἐγραμμάτευεν· Θαργηλιῶνος δευτέρᾳ ἱστ[αμέν]ου, τρίτει ϰαὶ εἰϰοστεῖ


1) S. Böckh, Mondzykl. I, S. 44. 45.

2) Ibid. 46 (vgl. Corp. Inscr. Att. II 1, no. 186, p. 86).

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τῆς πρυτανείας· ἐϰϰ[λησί]α, τῶν προέδρων ἐπεψήφιζεν Εὔαλϰος Φαληρεύς. Die in dieser Inschrift enthaltene Gleichung 2. Thargelion = 23. Tag IX. Pryt. ist ebenfalls nur in einem Schaltjahre möglich. Der 2. Thargelion ist in einem solchen der 327. Jahrestag. Jede Prytanie zu 38 Tagen gerechnet, begann die IX. Pryt. mit dem 305. Tage, also der 23. Tag derselben mit dem 327. Tage, welcher mit dem Kalender­datum 2. Thargelion übereinstimmte1. Man kann also aus solchen überlieferten Prytanien­gleichungen einen Schluß auf die Art eines gegebenen Jahres machen, und man würde, wenn diese Gleichungen in hinreichender Zahl, vollständig datiert und in zweifelloser Lesung vorlägen, wichtige Fragen der Chronologie entscheiden können.

Aus den beiden angeführten Beispielen geht hervor, daß zunächst unbestimmt bleibt, ob die Verteilung der Tage an die Phylen eine durchaus gleichmäßige (prozentuale nach der Jahreslänge) war oder ob man die überschüssigen Tage irgendwie verteilt und die Prytanien ungleichmäßig bemessen hat. Ferner ist die Frage, wie man in Schaltjahren verfuhr, und weiter, wie man die Verteilung gehandhabt hat, als 12 Phylen gezählt wurden.

Die Schriftsteller geben auf diese Fragen keine befriedigende Antwort. Pollux erklärt nur die Prytanien im allgemeinen und sagt nichts über die Verteilung der Jahrestage2. Harpokration be­merkt3, daß Aristoteles in der Staatsverfassung der Athener von den Prytanien rede und daß die Tageszahl der Prytanien 36 oder 35 gewesen sei, während welcher jede Phyle die Verwaltung übernahm. Nach Suidas4 (und Photios) hätten die 4 ersten Prytanien (des 354tägigen Gemeinjahrs) je 36 Tage, die 6 anderen je 35 Tage gehabt (die vier überschüssigen Tage seien also den vier ersten aus­gelosten Phylen zugeteilt worden). Nach Ulpian (Argum. in Demosth. orat. contra Androt. p. 588 f.) sind vier Tage, an welchen in Attika nicht amtiert wurde (ἄναρχος), die Tage der Beamtenwahl ἀρχαιρεσίαι genannt worden (4 Tage am Ende des Jahres?); die übrige Zeit


1) Eine ganz ungleiche Prytanieverteilung berechnet Unger (Philologus, 38. Bd., 1879, S. 427) mit Berücksichtigung der Inschrift Corp. Inscr. Att. II 1, no. 188, nämlich 42 resp. 38 Tage.

2) VIII 115: Πρυτανεία δὲ ἐστι χρόνος ὃν ἑϰάστη φυλὴ πρυτανεύει· ϰαὶ ὅτε μὲν δέϰα ἦσαν, πλείους ἑϰάστῃ φυλῇ αἱ ἡμέραι, ἐπεὶ δὲ δώδεϰα ἐγένοντο, ἑϰάστη φυλὴ μενὸς πρυτανείαν ἔχει.

3) Πρυτανείας (p. 161 Bekk.) .... ἔστι δὲ ἀριϑμὸς ἡμερῶν ἡ πρυτανεία ἤτοι λς´ ἢ λε´, ϰαὶ ἑϰάστη φυλὴ πρυτανεύει· διείλεϰται δὲ περὶ τούτων Ἀριστοτέλης ἐν τῆ Ἀϑηναίων πολιτείᾳ.

4) 112, p. 517 [Bernh.] : Ἐπερίττευον ἐϰ τοῦ σεληνιαϰοῦ ἐνιαυτοῦ ἡμέραι τέσσαρες, ἂς ἐπεμέριζον ταῖς πρώταις λαχούσαις πρυτανεύειν τέσσαρσι φυλαῖς· ϰαὶ τῶν μὲν τεσσάρων πρώτων ἑϰάστη εἶχε τὴν πρυτανείαν ἀπαρτιζομένην εἰς λς´ ἡμέρας, αἱ δὲ λοιπαὶ ς´ ἀνἀ λε´· πρυτανείας οὖν ἐστιν ἀριϑμὸς ἡμερῶν ἤτοι λς´ ἢ λε´.

[§ 199. Die Datierung nach Prytanien. 341]

haben je ein Zehntel der Fünfhundert, je 50 Mann also, durch 35 Tage regiert (ὥστε συνέβαινε τοὺς πεντήϰοστα ἄρχειν τῶν ἄλλων ἀνὰ τριάϰοντα πέντε ἡμέρας Sauppe lin. 94—96).

Da wir also aus den Schriftstellern wenig Auskunft über die Fragen der Prytanien­verteilung erholen können, sind wir auf das Inschriftenmaterial angewiesen. Allein, ob­gleich die Zahl der mit Prytanien­datierung versehenen Inschriften derzeit schon ansehn­lich gewachsen ist, reicht das Material zu einer ganz einwurfsfreien Beantwortung der schwebenden Fragen keineswegs aus, und ich kann deshalb auch in dem vorliegenden Werke nur von den über die Prytanienverteilung entstandenen Hypothesen handeln.

Was die zehn Stämme und die Zeit nach der Errichtung des Metonschen Zyklus (s. § 209) anbelangt, so sind über die Prytanien­verteilung in der Zeit um 426 v. Chr. einige Schlüsse aus einer erhalten gebliebenen Urkunde (Corp. Inscr. Att. I, no. 273, p. 146) gezogen worden. Letztere stellt ein Verzeichnis der Gelder der Athenaea dar, welche der attische Staat entliehen hatte, und umfaßte 11 Jahre, jedoch sind nur von vier Jahren, Ol. 88, 3 bis 89, 2, die Namen der Archonten, die Zahltage (Tag der Prytanien) der ent­liehenen Kapitalbeträge und der bis Ende von Ol. 89, 2 entstandenen Zinsen erhalten. Den Zinsfuß und die Zeitgrenze, bis zu welcher die Zinsen in dieser Urkunde berechnet sind, haben Rangabé und Böckh1 ermittelt; es ergab sich, daß nicht nur bei sämtlichen Rück­zahlungsposten des genannten Verzeichnisses, sondern auch bei jenen einer kleineren Urkunde über die Gelder anderer Götter ein und derselbe Zinsfuß angewendet worden ist, nämlich 20 Drachmen täglich für je 100 Talente (oder je 1 Drachme auf 300 Minen). Aus diesen Resultaten konnten Rückschlüsse auf die Längen der Jahre zwischen Ol. 88, 3 — 89, 2 sowie über die Tageszahlen gemacht werden, welche etwa den einzelnen Prytanien zugemessen worden sein könnten. Für die Jahreslängen fand Böckh folgende Werte plausibel, da nur diese auf den gefundenen Zinsfuß passen: Ol. 88, 3 = 355 Tage, Ol. 88, 4 — 354 Tage, Ol. 89, 1 = 384 Tage und Ol. 89, 2 = 355 Tage. Da es sich um zehn Prytanien handelt, so folgt, daß in den Jahren Ol. 88, 3 und 89, 2 die weitaus größere Zahl der Prytanien 35tägig war und daß der Überschuß über 10. 35 = 350 Tage auf die letzten Prytanien des Jahres verteilt worden ist. Im Jahre Ol. 88, 3 waren, unter Annahme der Böckhschen Zahlen der zinstragenden Tage, die


1) Rangabé (Antiquités Helléniques I), Böckh in der Abhandlung über zwei attische Rechnungsurkunden (Abhdlgn. d. Berliner Akad. d. Wiss. vom Jahre 1846) und Monatsber. d. Berl. Akad. d. Wiss., Oktober 1853 (s. auch Zur Gesch. d. Mondcycl. d. Hell. I 4—9).

[342 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

sieben ersten Prytanien je 35tägig, die überschießenden 5 Tage ge­hörten den 3 letzten Prytanien (den Monaten Elaphebolion bis Skiro­phorion) an; dagegen betrug im Jahre Ol. 89, 2 die Tagessumme der letzten 3 Prytanien 109 Tage, welche sich nur auf 36 + 36 + 37 Tage verteilen lassen. Danach wären die Prytanien VIII = 36, IX = 36, X = 37 Tage gewesen, und den Rest des Jahres, 246 Tage, hätte man auf die ersten 7 Prytanien (6 mit je 35, eine mit 36 Tagen) verteilt. Im Jahre Ol. 88, 4 (354 Tage) hatte die IX. Prytanie 35 Tage, die X. 36 Tage (Böckh), die vorherlaufenden Prytanien zählten vielleicht 5 zu 35 Tagen, 3 zu 36 Tagen. Betreffs des Schaltjahrs Ol. 89, 1 reichen die erhalten gebliebenen Fragmente der obigen Rechnungsurkunde zur Bildung von Schlüssen nicht aus. Die Bestandteile des sog. Choiseulschen Marmors geben für die Schatzrechnung aus dem Jahre des Archon Glaukippos Ol. 92, 3 (= 410 v. Chr.) in der Prytanie VIII die Zahltage 12, 24, 36, in der Pryt. IX die Tage 12, 36 und in der Pryt. X die Tage 11, 23, 36; das Jahr war ein Gemeinjahr von 355 Tagen, der 36. Tag der Prytanie kam also mehrfach im zweiten Teile des Jahres, und in diesem wahrscheinlich überwiegend, vor. Betreffs des anderen Bruch­stückes des Choiseulschen Marmors, Baurechnung des Poliastempels Ol. 93, 2, sei hinsichtlich der (noch nicht übereinstimmend erklärten) Prytanien wenig­stens bemerkt, daß in diesem Gemeinjahre wahr­scheinlich ein oder zwei 37tägige Prytanien vorkamen. — Während die Inschriften des 5. Jahrh., wie man sieht, über den Modus der Prytanienverteilung keine entscheidenden Schlüsse gestatten, ist das jüngere und von etwa Ol. 110 ab zahlreichere Material für die Ent­scheidung günstiger. Da eine eingehendere Detaillierung der einzelnen Ergebnisse im vorliegenden Werke nicht unter­nommen werden kann, so soll wenigstens die Prytanien­verteilung eines Gemeinjahrs und zweier Schaltjahre kurz angegeben werden. Für Ol. 114, 2 (= 323 v. Chr.) gibt eine Inschrift (Corp. Inscr. Att. II 1, no. 182, p. 84) aus dem Jahre des Archon Kephisodoros die Gleichung 18. Pyanepsion = Pryt. III Tag 36; eine andere Inschrift (no. 183) 12. Poseideon = Pryt. V, Tag 17; das Jahr war 355- oder 354tägig (s. § 216), und die erste Hälfte desselben enthielt 2 Prytanien zu je 36 Tagen und 3 zu je 35 Tagen. Für das zweite Halbjahr des Schaltjahrs (von 384 Tagen) Ol. 112, 3 (= 330 v. Chr.) haben wir 2 Inschriften (Corp. Inscr. Att. II 1, no. 176 u. 177); danach war im Jahre des Archon Aristo­phon der 11. Thargelion = Pryt. IX Tag 29, und der 14. Thargelion = Pryt. IX Tag 32 (s. oben S. 339). Die Pryt. IX und X faßten also wahrscheinlich je 39 Tage, die vorherlaufenden 6 · 38 + 2 · 39 Tage. Im Schaltjahr Ol. 115, 1 (= 320 v. Chr.) unter Archon Neaichmos war (Corp. Inscr. Att. II 1, no. 191, p. 88) der 14. Tag des zweiten

[§ 199. Die Datierung nach Prytanien. 343]

Poseideon = Pryt. V Tag 36; in diesem Jahre müßten dann die ersten 4 Prytanien je 39 Tage gehabt haben. — Als Beispiel für die Prytanienverteilung zur Zeit der zwölf Stämme genügt das Jahr Ol. 119, 2 (= 303 v. Chr.), Mehrere Inschriften (Archon Leostratos, Corp. Inscr. Att. III, no. 259. 260. 262. 263, p. 111) zeigen, daß dieses Jahr ein Schaltjahr war (384 Tage). Die überlieferten Daten, 8. Anthesterion = Pryt. VIII Tag 20, 17. Anthesterion = Pryt. VIII Tag 29, 21. Skirophorion = Pryt. XII Tag 23, ἔνη ϰαὶ νέα προτέρα des Skiro­phorion = Pryt. XII Tag 31, entsprechen einer gleich­mäßigen Verteilung von je 32 Tagen auf alle 12 Prytanien.

Aus den wenigen Beispielen, die angeführt werden konnten, geht wohl schon hervor, daß die athenische Verwaltung bemüht war, die Prytanien gleichmäßig über das Jahr zu verteilen. Man bewerk­stelligte dies, indem in den 354tägigen Gemeinjahren z. B. 6 Prytanien zu 35 Tagen und 4 zu 36 Tagen gerechnet wurden, in den 355 tägigen 5 Prytanien zu 35 und 5 zu 36 Tagen, und in den (384 tägigen) Schaltjahren 6 Prytanien zu 38, und 4 zu 39 Tagen. Zur Zeit der zwölf Stämme entsprachen diesen Grundzahlen in Gemeinjahren 29 und 30 Tage in entsprechender Abwechslung, in Schaltjahren die konstante (weil ohne Rest in 384 enthaltene) Zahl von 32 Tagen. Wie bei der Verteilung der Prytanien­zahlen verfahren wurde, ob seit alters dafür ein fester Modus bestand oder ob derselbe etwa in jüngerer Zeit durch einen anderen ersetzt wurde, ist unbekannt, und wir sind in dieser Hinsicht nur auf Mut­maßungen angewiesen. Einige sind der Ansicht, daß die Verteilung der Übertage, d. h. der Tage über 350 resp. 380, durch das Los vorge­nommen worden ist. Insbesondere ist A. Schmidt für die Auslosung der Überschußtage eingetreten. Nach ihm hat die Festsetzung der Prytanienlängen eines Jahres immer schon im vorherigen Jahre stattgefunden; die Notwendigkeit des laufenden Kalenders habe erfordert, daß etwaige Änderungen, die, aus der Verkürzung oder Verlängerung der Summe der Jahrestage hervor­gehend, die Prytanien tangierten, schon vor dem betref­fenden Kalenderjahre hätten vorgenommen werden müssen. Die regelmäßige Verteilung der Überschußtage, mit Zugrundelegung der 35- und 38 tägigen Prytaniendauer, ist nach Schmidt ein durchweg befolgtes Prinzip; Prytanien von 37 Tagen im Gemeinjahr und 40 im Schalt­jahr hätten nur als Ausnahmen, und zwar am Anfang oder am Ende eines Jahres erscheinen können, und Prytanien von 34 Tagen im Gemeinjahr, oder von 37 und mehr als 40 Tagen im Schaltjahr seien gänzlich ausgeschlossen1. Weniger entschieden als Schmidt, aber in


1) Es kommen aber doch solche vor: Corp. Inscr. Att. II 5, no. 128c Archon Pythodelos Ol. 111, 1 = 336 v. Chr. (Schaltjahr) ein 37. Tag; no. 169b Archon Nikokrates Ol. 111, 4 = 333 v. Chr. (Schaltjahr) ein 39. Tag.

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demselben Sinne spricht sich Aug. Mommsen für eine gleiche Bemessung der Prytanien aus. Er versteht „unter Planmäßigkeit, daß in den zehnstämmigen Gemeinjahren nur 35- und 36tägige Spatien, in den Schaltjahren nur 36- bis 40 tägige vorkamen; dann, daß die Prytanien­semester einander entsprachen, was auf Kongruenz der kalendarischen und prytanischen Semester hinauskommt“. Die auftretenden Schwierig­keiten sucht er freilich dem Kalender selbst zuzuschreiben, indem er gewaltsame Eingriffe in diesen durch die Archonten annimmt. Auch Böckh ist, obwohl er anfänglich eine gewisse Unregel­mäßigkeit in den Prytanien angenommen hatte, doch von dieser Ansicht zurück­gekommen und hat sich dem Prinzip der regelmäßigen Prytanien­verteilung genähert1. Die unregelmäßige Prytanienbemessung haben Unger und Usener vertreten und für verschiedene Fälle ganz ungleiche Prytaniendauer angesetzt. In der Tat wird der Forscher in der Praxis oft einer mehr oder weniger ungleichen Prytanien­bemessung kaum ausweichen können. Die Prinzipien von Schmidt und Aug. Mommsen lassen sich konsequent nicht durchführen und man wird meist auf eine spezielle Behandlung der einzelnen Fälle hingewiesen sein. Daß man sich dabei von einer gleichmäßigen Be­messung möglichst wenig zu entfernen bemüht sein wird, ist selbst­verständlich.

Schließlich ist noch zu bemerken, daß nach einer von Br. Keil aufgestellten Theorie (s. § 215) von der Zeit des Kleisthenes bis 408 v. Chr. ein Amtsjahr existierte, welches nicht mit dem bürger­lichen Jahre zusammenfiel. Es hatte 360, 361 und im Schaltjahre 390 Tage. Da hiernach auch die Prytanien bemessen wurden, hätten also von 512—408 v. Chr. die Prytanien je 36 Tage, in Schaltjahren 39 Tage gezählt. Da das Amtsjahr wohl nicht, hingegen dessen 360 tägige Länge fraglich ist, so bleibt auch diese Prytanien­bemessung proble­matisch. — Ferner gestatten die Doppeldatierungen des 2. u. 1. Jahrh. v. Chr. (s. § 217), wo die Prytanien nach dem Sonnenjahr gehen, gleichmäßige 30- und 31 tägige Prytanienbemessung.

Eine Reduktion der Prytaniendaten, d. h. die Ermittlung des entsprechenden julianischen Datums kann erst vorgenommen werden, wenn bekannt ist, welchem Zyklus das Jahr angehört, ob es ein Gemein- oder Schaltjahr war und welche Längen die einzelnen Monate hatten. Da diese Bedingungen mit der Entwickelung der griechischen Zeitrechnung verknüpft sind, gebe ich erst in § 212 ein Beispiel zur Reduktion prytanischer Daten.


1) Mondzykl. I, S. 30; II, S. 11. 72.

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