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B) Die Oktaëteris und die Systeme des Meton und des Kallippos.

§ 203. Die angeblich frühesten Jahrformen.

Nach Aug. Mommsen haben die Griechen in der ältesten Zeit ein mit dem Herbst (November) anfangendes Plejadenjahr gehabt und ihre Zeitrechnung ist ehemals einheitlicher gewesen als später. Etwa zu Solons Zeit oder früher sind Athen und Delphi, durch die zeitliche Unveränderlichkeit der heliakischen Siriusaufgänge aufmerk­sam gemacht, auf den Jahresbeginn mit dem Sommer über­gegangen. Noch während der plejadischen Zeitrechnung haben die delphischen Priester durch das Ausland die Bedingungen eines 8jährigen Zyklus — der späteren Oktaëteris — kennen gelernt und diesen Zyklus auf eine an den Frühuntergang der Plejaden geknüpfte Oktaëteris an­gewendet. Gegen das Ende dieser plejadischen Oktaëteris beging man (im August oder September) zu Delphi die pythischen Spiele (s. § 201); dieselben wurden also ehemals alle 8 Jahre gefeiert (später vierjährig). Als man in Athen und Delphi die Opferzeiten und Feste nach den Mondphasen (Vollmonden) bestimmte, also zu einem Mond­jahr gelangte, wurde die plejadische Oktaëteris die Grundlage der lunarischen. In dieser lagen die Pythien und Panathenäen nunmehr am Anfange. — Gegen dieses angebliche Plejadenjahr habe ich mich schon (§ 200) ausgesprochen. Nicht nur, daß der Gebrauch so un-

[366 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

bestimmter, schwierig zu ermittelnder Perioden, wie der Sternjahre unmittelbar vor der Zeit Solons, also in einer kulturhistorisch schon vorgeschrittenen Epoche, sehr unwahrscheinlich ist, bedingt die durch Solon ausgeführte Reform der Mondzeitrechnung selbst schon ein vor­heriges langes Bestehen der Rechnung nach dem Monde, Die Ver­besserungen in der Zeitrechnung, die damals vorgenommen wurden, setzen, da die Erkenntnisse der Alten nicht auf wissenschaftlichem, theore­tischem Wege, sondern nur durch die allmähliche Erfahrung gewonnen werden konnten, den Schluß voraus, daß das Mondjahr damals in Attika und Delphi schon seit Jahrhunderten als Basis der Zeitrech­nung gedient hat. Vielleicht ist es sogar so alt, wie die griechische Staatenbildung selbst.

Ebensowenige Berechtigung wie die Sternjahre haben die eigen­tümlichen Jahre, welche weder Sonnenjahre noch Mondjahre sind und den Griechen von Scaliger, Caranza und Rinck beigelegt wurden. Zum Teil hat die angeblich 30tägige Dauer der griechischen Monate zu diesen sonderbaren Jahren geführt. Die Schriftsteller, bei denen der 30tägige Monat vorkommt, habe ich schon (S. 317) angegeben und bei­gefügt, daß es sich bei diesen überall nur um den volkstümlichen Begriff des Monats, welcher 30 Tage in einen Monat faßte, handelt und nicht um den kalendarischen Monat. Die älteren Hypothesen eines 360tägigen Jahres sind von Petavius und Ideler widerlegt worden; die sonderbare Tetraetëris von W. F. Rinck, welche Jahre von 360—363 Tagen und Schaltjahre von 389—393 Tagen in sich schließt, hat Böckh (1855) beseitigt; Faselius (1861) wollte das 360tägige Jahr dadurch erklären, daß die griechischen Stämme ehe­mals nach diesem Jahre gerechnet hätten und daß die Schriftsteller, welche von 30tägigen Monaten sprechen, alle Nichtathener gewesen seien; in Athen sei das Mondjahr früher (unter Solon) üblich ge­worden als bei den anderen griechischen Stämmen. — Gegenwärtig kann man alle diese Theorien als abgetan betrachten. Neuerdings ist nur durch Keils Theorie ein 360tägiges Amtsjahr (s. § 215), welches zu Verwaltungszwecken diente, in Frage gekommen.

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