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[§ 209. Epoche des Metonschen Zyklus. 391]

§ 209. Epoche des Metonschen Zyklus.

Für die Bestimmung des Anfangsdatums des 19jährigen Meton­schen Zyklus kommt allein die schon erwähnte (S. 389 Anm. 3) Stelle Diodor XII 36 in Betracht, nach welcher dieser Anfang in das Jahr des attischen Archon Apseudes fiel. Das Jahr dieses Archon, Ol. 86, 4, reichte vom Sommer 433 bis zum Sommer 432 v. Chr. Noch in diesem Jahre — so wird gewöhnlich die Diodor-Stelle verstanden — ließ Meton seinen neuen Kalender anfangen, und zwar mit dem 13. Skirophorion, dem letzten Monate des Jahres des Apseudes. Der Epoche­tag des Zyklus, d. i. der 1. Hekatombaion konnte, nach dem, was über den attischen Jahresanfang notiert wurde (s. oben S. 380 f.), nur der Tag jener Numenie sein, welche nach dem Sommer­wendetage statthatte. Diese Numenie fällt also schon in das nächste Jahr 432—431 v. Chr. = Ol. 87, 1. Wie man aus Tafel V dieses Bandes ersieht, findet 432 v. Chr. das Sommersolstiz am 28. Juni statt (die Angabe der Tageszeit folgt weiter unten), und nach der Neumonds­tafel III des I. Bandes (S. 552) ist der diesem Datum zunächst­folgende Neumond Juli 15, 24, d. h. am 15. Juli nachmittag 5h 46m m. Greenw. Zeit oder 7h 21m m. Athener Zeit. Da der griechische Monat nicht mit dem Tage dieser Konjunktion anfängt, sondern erst mit dem Abend des Neulichtes, so ist die Frage, wann die Mondsichel nach der Konjunktion wieder dem Auge sichtbar sein konnte. Für die Zwischenzeit Konjunktion – erste Sichel habe ich im I. Bande (S. 93) als Durchschnitts­zahl 1 12 Tage festgestellt, aber auch darauf hingewiesen, daß sich ein zuverlässigerer Schluß aus der Untergangs­zeit des Mondes und der Dauer der astronomischen Dämmerung

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ziehen läßt. Für den vorliegenden Fall gibt mir die Rechnung1 als Zeit des Athener Mondunterganges an dem der Konjunktion folgenden Tage, den 16. Juli, 8h 20m m. Zt. abends. Die Sonne ging um 7h 17m unter (mit Rücksicht auf Refraktion um 7h 20m); die Dämmerungs­tafel am Anfang des vorlie­genden Kapitels (S. 302) gibt für Athen und den 16. Juli die Dauer der Dämmerung 2h 42m; dieser Betrag, mit der Zeit des Sonnenuntergangs verbunden, zeigt, daß das Ende der Dämmerung, d. h. das Hervortreten der helleren Sterne, um 9h abends zu erwarten war. Während also am 15. Juli die Kon­junktionszeit des Neumondes nahe mit dem Sonnenuntergänge zu­sammenfiel2, stand die Sichel am nächsten Tage abends bei ihrem Untergange (8h 20m) in der tiefen Dämmerung. Die Möglichkeit, daß die feine Sichel trotz des geringen Erleuchtungswinkels von guten Augen schon am späten Abend des 16. Juli wahrgenommen werden konnte, ist daher vorhanden. Man kann somit den 1. Hekatombaion Ol. 87, 1 auf den mit dem Abend des 16. jul. Juli 432 beginnenden griechischen Tag setzen. Wollte man erst den nächsten Tag, den 17. als Beginn ansehen, so würde das Intervall zwischen dem Datum der Konjunktion und dem Neulicht zu groß (fast 50 Stunden) und un­wahrscheinlich werden. Petavius, Dodwell, Ideler, Böckh, Redlich und Unger haben deshalb den Abend des 16. Juli 432 als Epoche des Metonschen Zyklus angenommen. — Scaliger fängt den Zyklus einen Tag früher, am 15. Juli an, und Biot, Em. Müller und A. Schmidt sind ihm hierin gefolgt. Letztere nehmen an, daß die Konjunktion vor den Sonnenuntergang am Abend des 15. Juli fiel.


1) Zugrunde gelegt sind die Tafeln von Neugebauer (Abgekürzte Taf. d. Mondes, Veröff. d. K. Astron. Rechen-Instit. Berlin, XXVII, 1905). Bei dem gegen­wärtig noch nicht völlig einwandfreien Zustande unserer Mondtheorie läßt sich für so entlegene Jahrhunderte die Richtigkeit des Result­ates nicht ganz verbürgen. Das­selbe gilt von der berechneten Konjunktionszeit des Mondes. Jedoch ist zu er­innern, daß in Beziehung auf die Konjunktionszeit die von früheren Autoren an­gegebenen Werte (Ideler 7h 15m, Biot 6h 40m, Aug. Mommsen 6h 38m, Unger 6h 27m) weniger verläßlich sind, da sie auf jetzt schon veralteten Mondtafeln be­ruhen. Bei Anwendung der modernen Tafeln kann die Abweichung des Resultates von der tatsächlichen Konjunktionszeit etwa plus oder minus eine halbe Stunde betragen. Der Fehler in der obigen Konjunktionszeit Juli 15, 7h 21m Ath. Zt. (berechnet mit Hilfe von Schrams Mondphasentafeln) ist also jedenfalls kein bedeutender.

2) Aug. Mommsen (Chronol. 236) hat dieses schon von Ideler (Hdb. I 328) gefundene Resultat bezweifelt, da er (mit den Tafeln von Largeteau) die Kon­junktionszeit 6h 38m fand. Die genannten Tafeln sind aber ein älteres Hilfsmittel (von 1850). Er bemängelt auch die Idelersche Angabe, daß die Sonne gerade im Untergange (7h 15m m. Zt.) gewesen, weil für den 15. Juli ein Kazamia-Kalender von 1865 n. Chr. (!!) nicht stimme. Die Idelersche Untergangszeit der Sonne ist aber sicher auf 2 oder 3 Minuten richtig.

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In diesem Falle würde die Konjunktion noch dem vorhergehenden griechischen Tage, dem 14. angehören, welcher bis zum Abende des 15. julian. reichte; das Erscheinen der Sichel fiele in den nächsten Abend, welcher den Anfang des 15. Juli bildet. Da indessen das schon von Ideler mittelst älterer Tafeln gewonnene Resultat 7h 15m m. Zt. als Konjunktionszeit durch mein Ergebnis aus Schrams Tafeln (7h 21m) bestätigt wird, und da, wie oben gezeigt wurde, die Möglichkeit des Erscheinens der Sichel in der Dämmerung des Abends am 16. Juli vorliegt, so wird man gut tun, bei dem 16. Juli 432 als Epochetag zu verbleiben1. — Zu wesentlich anderen Annahmen über den Epochetag ist Aug. Mommsen gekommen. Er findet als Grenzen, zwischen welchen Metons 1. Hekatombaion liegen konnte (s. weiter unten) den Zeitraum vom 28. Juni bis 27. Juli2. Man habe im Altertum die lunarischen Tage nicht nach der mittleren Lage in den Monaten orientiert, sondern hierzu die extremen Stände, eine Frühgrenze oder Spätgrenze gewählt, so auch Meton bei der Wahl des Anfangstages seines Zyklus. Der 15. Juli 432 sei hierzu nicht geeignet. Dagegen biete das vorher­gehende Jahr 433 v. Chr. die Gelegenheit, Numenien innerhalb der oben genannten Grenzen anzusetzen, und zwar entweder den Neumond vom 26. Juni 9h 1m abends m. Zt. Athen oder 26. Juli 4h 42m morgens (s. Tafel III des I. Bandes). Da im ersten Falle das Neulicht auf den 27. Juni kommt und dies Datum schon vor der Frühgrenze (28. Juni) liegt, so sei nur das zweite Datum anzunehmen, nach welchem das Neulicht am 27. Juli habe eintreten können. Da indes die von Mommsen ermittelten Zeitgrenzen Zweifeln unterliegen, so wird auch die daraus gefolgerte Epoche 27. Juli 433 bedenklich. — Kubicki und Israel-Holtzwart lassen ebenfalls den metonischen 1. Hekatombaion in das Jahr 433 v. Chr. fallen: der erstere setzt die Epoche auf den Tag des zweiten der beiden erwähnten Neumonde, auf den 26. Juli 433; der andere be­stimmt die Epoche durch den Neumond 27. Juni 433, welcher mit der von Meton beobachteten Sonnenwende (s. unten) zusammenfiel. — Julius Oppert endlich leugnet die Richtigkeit des überlieferten Datums der Sonnenwende, den 13. Skirophorion. Es müsse in der Diodor-Stelle heißen, Meton habe seine 19jährige Periode mit dem Monat Skirophorion, „dem dreizehnten Monat des vorhergehenden Jahres“, begonnen. Der Tag 13 sei eine bisher falsche Annahme. Gemäß


1) Hier muß, allerdings nur als chronologisches Kuriosum, die Meinung von A. Faselius (Der attische Kalender 584 v. Chr. bis 312 n. Chr., Weimar 1861) er­wähnt werden, daß der griechische Monat nicht mit dem Neulichte, sondern erst mit dem ersten Viertel anfing (bei welchem also die Mondsichel schon 5 oder 6 Tage lang sichtbar war!).

2) Chronologie, S. 234.

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dieser Konjektur, welche die wenigsten zugeben werden, setzt Oppert die Epoche in das vorhergegangene Jahr, das des Apseudes 433 v. Chr., und den Epochetag (nahe mit A. Mommsen übereinstimmend) auf den 28. Juli.

In Verbindung mit dem Epochetage steht das von Meton be­obachtete Datum der Sommersonnenwende 432 v. Chr. Diodor sagt in der (s. oben S. 389) erwähnten Stelle, daß der 19 jährige Zyklus „vom 13. des attischen Monats Skirophorion (μηνὸς ἐν Ἀϑήναις Σϰιροφοριῶνος) an seinen Ausgang (τὴν ἀρχήν) nahm“. In dieser Nach­richt, die allerdings an Klarheit viel zu wünschen übrig läßt, hat man das Datum des von Meton festgestellten Sommer­solstiz gesehen, welches er zur Grundlage seines Zyklus nötig hatte. Diese Ansicht wird unterstützt durch die (ebenfalls oben S. 389 schon erwähnten) Bemerkungen von Aelian und Philochoros, nach welchen (als ur­sprünglich kommt der letztere in Betracht) Meton unter dem Archon Apseudes zu Athen „ein Heliotropion1 auf der Volksversammlungs­stätte, an der Mauer der Pnyx“ errichtet, also dort die Sonnen­wende beobachtet hat. Der hier angegebene Beobachtungsort ist um so wahrschein­licher, als derselbe zur Beobachtung des Sommersolstiz besonders geeignet situiert war und von den Vorgängern Metons zu solchen Versuchen benützt worden ist (vgl. oben S. 375 Anm. 1). In anderer Form ist die Beobachtung und ihr Datum über­liefert von Ptolemaios2: „Die von Meton und Euktemon beobachtete Sonnenwende findet sich verzeichnet unter dem attischen Archon Apseudes Phamenoth 21 ägyptisch, morgens“. Das zu dem ägyptischen Datum 21. Phamenoth gehörige Jahr Nabonassar ist nicht genannt3, wird aber ersetzt durch die Angabe „unter dem Archon Apseudes“, und die Beobachtung gehört daher dem Jahre Ol. 86, 4 und zwar dem Ende des griechischen Jahres 433—32 an (Aug. Mommsens Zweifel, ob Ol. 86, 4 oktaëterisch oder metonisch zu nehmen sei, ist überflüssig). Da der 1. Thoth 433 v. Chr. (des beweglichen ägyptischen Jahres) = 9. Dezember ist (s. Taf. V dieses Bandes) und vom 1. Thoth bis 21. Phamenoth zwei­hundert Tage verlaufen, so erhalten wir als Datum der Sonnenwende 21. Phamenoth = 27. Juni 432 v. Chr. Die Nach­rechnung des Solstiz mit modernen Tafeln (Schram) gibt 432 v. Chr. 28. Juni 2h 36m nach-


1) Das ἡλιοτρόπιον war vermutlich so eingerichtet, daß man durch mehrere Tage hindurch bei der Kulmination der Sonne die Schattenlängen einer senkrecht stehenden Säule oder eines Stiftes maß und daraus den Tag des Solstiz ermittelte (s. Redlich, Der Astron. Meton u. sein Zyklus, S. 24).

2) Almag. III 2 [Heiberg 1205]: Ἐϰείνε μὲν γὰρ [ἡ ὑπὸ τῶν περὶ Μέτωνά τε ϰαὶ Εὐϰτήμονα τετηρημένη ϑερινὴ τροπὴ] ἀναγράφεται γεγενημένε ἐπὶ Ἀψεύδους ἄρχοντος Ἀϑήνησι, ϰατ᾽ Αἰγυπτίους Φαμενὼϑ ϰα´ πρωΐας.

3) 316 Nabonassar.

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mitt. Athen1. Die Differenz zwischen Beobachtung und Rechnung ist also, ob man nun unter Ptolemaios' Zusätze πρωΐα (morgens oder vor­mittags) die Zeit der Beobach­tung oder bloß den Tagesanfang mit dem Morgen (Aug. Mommsen) versteht, in Anbetracht der Schwierig­keit solcher Beobachtungen für die Alten recht gering. — Die Sonnenwende­beobachtung vom 13. Skirophorion unter Apseudes muß übrigens unter den griechischen Gelehrten der späteren Zeit noch großes Ansehen gehabt haben, da sich dasselbe Datum auf einem dem 2. Jahrh. v. Chr. angehörenden Parapegma­fragment aus Milet vorfindet (s. § 213). An das Datum 13. Skirophorion knüpfen sich wichtige Folge­rungen. Diodor in der erwähnten Stelle XII 36 berichtet, daß Meton seinen Zyklus unter Apseudes (Ol. 86, 4) der Öffentlichkeit übergeben (Aug. Mommsen) und den Zyklus mit dem 13. Skirophorion angefangen habe. Scaliger und Dodwell ver­standen diese Worte so, daß der Anfangstag des Zyklus, der 1. Hekatom­baion = 13. Skirophorion der damaligen bürgerlichen (oktaëte­rischen) Zeitrechnung gewesen, d. h. daß der bürgerliche Kalender damals um 17 oder 18 Tage vom Mondlauf abgewichen sei. Diese Unmöglichkeit schließt sich von selbst aus, und Ideler, Böckh, Redlich und Schmidt deuten daher jene Stelle so, daß am 13. Skiro­phorion oder, wie wir oben gesehen, an dem mit ihm zu gleichenden 27. Juni nicht der Zyklus, sondern nur Metons Parapegma (Kalender) angefangen hat. Daß Diodor mit seiner Angabe selbst den Anfang des Para­pegmas meint, geht daraus hervor, daß er gleich­zeitig die Episemasien erwähnt, nämlich die Angaben über die Auf- und Untergänge der Gestirne, die Tag- und Nacht­gleichen und voraus­sichtlichen Witterungs­erscheinungen, welche Notizen neben den Daten des Mondzyklus in die Parapegmen eingetragen wurden2. Ist nun die Gleichung 13. Skirophorion Ol. 86, 4 = 26/27. Juni 432 v. Chr. richtig, so kommt der letzte Tag des Skirophorion, wenn man diesen Monat 29tägig rechnet, auf den 13. Juli (12/13 von Abend zu Abend gezählt) und der 1. Hekatombaion wird der 13. Juli (wenn man dem Skirophorion 30 Tage gibt, der 14. Juli)3. Da aber (s. oben) der 1. Hekatombaion des Metonschen Zyklus der 16. Juli war, so ergibt sich eine Differenz von 3 Tagen für den damaligen attischen Kalender.


1) Ideler (I 326) gibt an 28. Juli 4h nachm. Athen, Böckh (Sonnenkreise d. Alten, S. 44) findet mittels der Tafeln von Largeteau 28. Juni 11h 27m vor­mittag Athen. Zeit.

2) Theon. ad Arat. Diosem. 20 f. — Episemasien sind uns in den Parapegmen von Meton, Demokrit und Euktemon erhalten. Metons Parapegma geht, wie das der andern, vom Sommersolstiz aus.

3) Die meisten Chronologen geben dem Skirophorion 29 Tage; Böckh (Mondzykl. I 21) hat nur die Möglichkeit von 30 Tagen angedeutet, ohne darauf Gewicht zu legen.

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Gegen die Voraussetzung, daß das Datum 13. Skirophorion im Sinne der damaligen oktaëterischen Zeitrechnung zu verstehen ist, hat Aug. Mommsen Einwände erhoben. Anfänglich glaubte er, daß das Datum nur ein aus der kallippischen Periode (seines Entwurfs) zurückberechnetes „reduziertes“ sei. Zuletzt1 erklärte er den 13. Skiro­phorion für ein „metonisches“ Datum. Der Kalenderstein, auf welchem Meton sein Parapegma veröffentlichte, habe vermutlich den 13. Skiro­phorion als Anfangsdatum enthalten, und Diodor habe aus einem der in griechischen Städten aufgestellten Metonischen Parapegmen seine Notiz entnommen. Bei Annahme dieser Darstellung würde statt der oktaëterischen Gleichung 13. Skirophorion = 26. oder 27. Juni viel­mehr 13. Skirophorion = 28. Juni gesetzt werden müssen, und die von Ideler, Böckh, Redlich, Unger und Schmidt akzeptierte Differenz des attischen Kalenders gegen den Mond von 2 bis 3 Tagen würde verschwinden. Allein abgesehen davon, daß es schon fraglich ist, ob Diodor seine Nachricht aus einem Parapegma selbst schöpfte, hätte doch sein überliefertes Datum 13. Skirophorion irgend eine Beifügung erhalten müssen, wenn es nicht im Sinne der allein seinen Lesern verständlichen bürgerlichen (oktaëterischen) Rechnung zu verstehen gewesen wäre. Da Diodor aber nur den „Monat Skirophorion der Athener“ nennt (ebenso Ptolemaios) und zum Datum keine weitere Erklärung macht, so kann man die Angabe füglich nicht anders ver­stehen als nach dem Kalender der attischen Oktaëteris. — Von Greswell, Biot und Aug. Mommsen sind auch Bedenken dagegen geltend gemacht worden, daß Meton seinen Zyklus schon im Jahre des Apseudes Ol. 86, 4 veröffentlicht haben könne. Sie nehmen an, daß Meton erst in diesem Jahre den Tag des Sommersolstiz 13. Skiro­phorion bestimmte; die 18 Tage von da bis zum 1. Hekatombaion reichten nicht hin, um das Parapegma ausarbeiten, auf den Stein übertragen und die behördliche Bewilligung zur Aufstellung einholen zu können. Allein es ist wohl keine Frage, daß Meton, wenn er eine so einschneidende Kalenderreform durchführen wollte, sich nicht erst im Jahre Ol. 86, 4 dazu vorbereitete. Vielmehr ist wahrscheinlich, wie A. Schmidt richtig bemerkt, daß nicht nur das Parapegma schon einige Jahre vorher ausgearbeitet war, sondern daß Meton auch aus früheren Beobachtungen des Tages der Sommerwende bereits hin­reichend sicher war, daß er ihn rechnerisch voraus angeben konnte. Der Umstand, daß das Datum des Solstiz sich für eine Reihe von Jahren hindurch scheinbar nicht änderte für Beobachtungen von der Qualität, wie sie mit primitiven Instrumenten erreichbar war, ermög-


1) Chronologie, S. 267 f., 362—365.

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lichte auch die Vorausangabe. Diodors Nachricht braucht darum nicht bezweifelt zu werden.

Ideler hat darauf aufmerksam gemacht, daß der vorbezeichnete Anfang des Metonschen Parapegmas mit der Sonnenwende (27. Juni) durch eine Schriftstelle aus Aratos' Diosemeia (etwa 160 Jahre nach Meton) bestätigt werde. Es heißt dort: „Jetzt schon werden bekannt (durch die Parapegmen) die neunzehn Kreise der Sonne und die Himmelserscheinungen, welche die Nacht kreisen läßt vom Gürtel des Orion bis zu seinem letzten Stern und seinem Hunde (Sirius), und die Sterne, welche den Menschen im Dienste Poseidons oder des Zeus Treffendes (der Witterung) anzeigen1.“ Aus dieser Beschreibung gehe hervor, daß Metons Parapegma einige Wochen vor dem ersten Zyklus­jahre anfing, nämlich mit dem Tage der Sonnenwende, und einige Tage über den Anfang des 1. Jahres hinausreichte. Heliakische Auf­gänge der genann­ten Sterne vorausgesetzt, wäre die erste Erscheinung der Frühaufgang des Gürtels des Orion gewesen, der als „letzter Stern des Orion“ bezeichnete sei der Stern ϰ am rechten Knie, Sirius wäre die letzte Erscheinung. Nach Ideler fallen diese Früh­aufgänge auf Krebs 9 (= 4. Juli), Krebs 19 (= 14. Juli) und Krebs 28 (= 23. Juli). Der Anfang des Parapegma läge danach 7 Tage vor dem Aufgang des Oriongürtels oder 19 Tage vor dem 1. Hekatombaion des 1. Zyklus­jahres. Das, was man aus Aratos für die Bestimmung des Para­pegma-Anfangs verwenden kann, stimmt nur ungefähr. Es soll hier gleich erwähnt werden, daß die verschiedenen Kalender (Geminos etc.) den Aufgang des sehr ausgedehnten Sternbildes Orion etwas voll­ständiger beschreiben: Zwillinge 24 (= 17. Juni) Frühaufgang der Schulter des Orion (d. h. α Orionis) nach Euktemon; Krebs 11 (= 6. Juli) vollständiger Aufgang des Orion nach Eudoxos (Krebs 13 nach Euktemon); Aufgang des Fußes im Orion nach Ptolemaios (Hellespont) Epiphi 18 (= 12. Juli). Unsere Tafel I c gibt den heliakischen Aufgang für das Jahr 432 v. Chr. und die Breite von Athen des Sterns α Orionis = 29. Juni und des Sirius = 28. Juli; für den Gürtel des Orion (ε Orionis) finde ich 8. Juli und für den Fuß (β Orionis) den 6. Juli2. Danach ging die Schulter des Orion so-


1) 20 f.: Τὰ γὰρ συναείδεται ἤδη ἐννεαϰαίδεϰα ϰύϰλα φαεινοῦ ἠελίοιο, ὅσσα τ᾽ ἀπὸ ζώνης εἰς ἔσχατον Ὠρίωνα νὺξ ἐπιδινεῖται Κύνα τε ϑρασὺν Ὠρίωνος, οἵ τε ...... ἀστέρες ἀνϑρώποισι τετυγμένα σημαίνουσι ... Vgl. auch Schol. Arat. (117 ed. Bekker): Ἀρχὴ δὲ τοῦ ἐνιαυτοῦ ἐστιν ἡ τῆς ζώνης τοῦ Ὠρίωνος ἐπιτολή, τέλος δὲ τῶν ποδῶν αὐτοῦ ἡ ἐπιτολὴ ϰαὶ τοῦ Κυνός.

2) Die Position des Sterns ε Orionis für 432 v. Chr. ist Rect. 53° 49,1′, Decl. − 6° 4,2′, jene des Sterns β Orionis Rect. 49° 59,2′, Decl. − 14° 4,2′; für ersteren erfolgt (bei einem Sehungsbogen von 14° für Sterne 2. Größe) der heliak. Aufgang bei der Sonnenlänge von 99,88°; der Aufgang des andern (Sehungsbogen 11° für Sterne 1. Größe) bei der Sonnenlänge 97,66°.

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gleich nach dem Sommersolstiz heliakisch auf, und der Aufgang des ganzen Sternbildes konnte vor dem 1. Hekatombaion (16. Juli) be­endet sein. Das Wiedererscheinen des Orion lag also zwischen dem Solstiz und dem Epochetag, und Aratos konnte sagen, daß der Auf­gang des Orion (nicht bloß des Gürtels, sondern des ganzen Stern­bildes) den Anfang des 19jährigen Kreises bezeichne, daß hierauf das Erscheinen des Sirius erfolge, sowie der anderen Sterne während des Jahres usw.

Die Worte des Aratos hat man auch benützt, um zu einer Ansicht darüber zu kommen, innerhalb welcher Grenzen nach Meton der 1. Heka­tombaion sich bewegt haben könnte, indem man die erwähnte Stelle durch Heranziehung einiger Verse des Festus Avienus zu ergänzen suchte. Es heißt bei dem letzteren, nachdem er der Zyklen des Harpalos und Meton gedacht hat (Arat. Prognost. v. 48): Sed prim­aeva Meton exordia sumpsit ab anno, torreret rutilo Phoebus cum sidere Cancrum, cingula cum veheret pelagus procul Orionis, et cum caeruleo flagraret Sirius astro. Diese nicht ganz verständliche Stelle ist verschieden erklärt worden1, bedeutet aber wahrschein­lich nicht viel mehr, als daß „Meton seinen ersten Ausgang (d. h. des Para­pegmas) von der heißen Zeit (ab aestu statt ab anno)2 nahm, da Phoebus im Zeichen des Krebses stand usw.“ Bestimmtere Grenzen für Metons 1. Hekatombaion glaubte Aug. Mommsen aus anderen Schriftstellen ermitteln zu können. Aus Platon, Leges 767 (s. diese bereits zitierte Stelle S. 381 Anm. 1) schloß er, daß die früheste Lage des 1. Hekatombaion das Ende Juni sein konnte, d. h. der 28. Juni (Mommsen rechnet den 13. Skirophorion = 28. Juni, s. oben S. 396). Der 27. Juli sei die Spätgrenze, so daß also die zwischen den 28. Juni bis 27. Juli (schon von Scaliger proponiert) fallenden Neumond- resp. Neulichttage zum 1. Hekatombaion (Neujahrstage) werden konnten. Die von ihm zur Unterstützung herangezogenen Schriftstellen und der dem 1. Jahrh. v. Chr. angehörende Festkalender der Kirche Panagía Goryopikô sind indes nicht sehr beweisend; besonders gilt dies von den Stellen aus Plutarch über römische Ereig­nisse (Sulla c. 14, Eroberung Athens 86 v. Chr.; Caesar c. 37, Eilmarsch nach Brundusium 48 v. Chr.). Plutarch hatte wohl schwerlich richtige Einsicht in den verworrenen römischen Kalender des 1. Jahrh. v. Chr., und die von ihm in jenen Stellen gemachten Vergleichungen mit den attischen parallelen Monaten beziehen sich wahrscheinlich auf die in der späteren Zeit geltende Lage der römischen Monate zu den griechischen.


1) A. Mommsen, Chronol., S. 232. 233; Schmidt, Chronol., S. 394.

2) Nach Nipperdey (s. Schmidt a. a. O.).

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