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[366 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

§ 204. Die Nachrichten des Geminos, Censorin und Herodot.

Für die Beurteilung der Entwicklung der griechischen Zeit­rechnung sind insbesondere die Mitteilungen wichtig, welche der dem 1. Jahrh. v. Chr. angehörende Geminos von den Schaltzyklen gibt (εἰσαγωγή). Da wir wiederholt auf die Aussagen dieses Autors zurückgreifen müssen, so erachte ich für zweckmäßig, gleich hier

[§ 204. Die Nachrichten des Geminos, Censorin und Herodot. 367]

einen Auszug seiner Mitteilungen über die ursprüngliche Oktaëteris und deren Verbesserungen zu geben.

Nachdem Geminos gesagt hat, daß „die Alten“ ihre Zeitrechnung wegen der Feste und Opfer sowohl mit dem Umlaufe des Mondes wie mit jenem der Sonne in Übereinstimmung zu bringen getrachtet hätten (s. die schon S. 316 angeführte Stelle), gibt er folgende Er­klärungen (VIII 26—49): „Was zunächst die Alten betrifft, so hatten dieselben Monate zu 30 Tagen und setzten die Schaltmonate ein Jahr um das andere zu. Weil aber angesichts der Himmelserscheinungen die Richtigkeit des Verfahrens alsbald in Frage gestellt wurde, inso­fern die Tage und die Monate nicht mit dem Monde in Überein­stimmung blieben und die Jahre nicht mit der Sonne fortschritten, so suchten sie eine Periode, welche hinsichtlich der Jahre mit der Sonne, hinsichtlich der Monate und Tage mit dem Monde in Einklang bleiben sollte und dabei ganze Monate, ganze Tage und ganze Jahre enthalten mußte. Die erste Periode, welche sie aufstellten, war die achtjährige; sie umfaßt 99 Monate, mit Einschluß von 3 Schaltmonaten, oder 2922 Tage, d. h. acht Jahre. Zur Aufstellung dieser Periode gelangten sie auf folgende Weise. Da das Sonnenjahr 365 14 Tage, das Mondjahr aber nur 354 Tage hat, nahmen sie den Überschuß des Sonnenjahrs über das Mondjahr; derselbe beträgt 11 14 Tage. Wenn wir also die Monate im Jahre nach dem Monde rechnen, so werden wir im Verhältnis zum Sonnen­jahre 11 14 Tage zurückbleiben. Nun suchten sie die Zahl, mit welcher man diese Anzahl von Tagen multiplizieren muß, um ganze Tage und ganze Monate zu erhalten. Dieses Ergebnis erhält man durch Multi­plikation mit acht: es sind 90 Tage oder 3 Monate. Da wir also in einem Jahre 11 14 Tage zurück­bleiben, so ist klar, daß wir in 8 Jahren im Vergleich zur Sonne 90 Tage, das sind 3 Monate, zurück sein werden. Aus diesem Grunde werden in jeder 8jährigen Periode 3 Schaltmonate eingeschoben, damit der jährlich eintretende Ausfall [Rückstand] gegen die Sonne ausgeglichen werde und somit wieder von vorn, nach Ablauf der 8 Jahre, die Feste in dieselben Jahres­zeiten fallen. Wenn dies nämlich geschieht, werden die Opfer den Göttern stets zu denselben Jahreszeiten dargebracht werden. — Nun mußte man jedoch die Schaltmonate so gleichmäßig, als es nur irgend möglich war, einfügen. Man darf nämlich weder warten, bis der Unterschied mit den Himmelserscheinungen einen Monat beträgt, noch darf man einen vollen Monat im Vergleich zum Lauf der Sonne vorausnehmen1. Aus diesem Grunde traf man die Anordnung, daß die Schaltmonate im 3., 5. und 8. Jahre eingeschoben werden sollten,


1) D. h. die Abweichung soll man nicht zur Länge eines Monats oder dar­über hinaus anwachsen lassen.

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also 2 Monate mit je zweijähriger, einer mit nur einjähriger Zwischen­zeit. Es macht aber nichts aus, wenn man die entsprechende An­ordnung der Schaltmonate auch in anderen Jahren treffen wollte. Das Mondjahr hat 354 Tage; aus diesem Grunde nahm man den Mondmonat zu 29 12 Tagen, den Doppelmonat zu 59 Tagen an1. Deshalb macht man einen Monat um den andern voll und hohl, weil der Doppelmonat nach dem Monde 59 Tage hat. Es gibt also im Jahre 6 volle und 6 hohle Monate, die Summe der Tage beträgt 354 .... Müßten wir nun mit den Sonnenjahren allein in Überein­stimmung bleiben, so würden wir bei Anwendung der eben genannten Periode mit dem Himmel in genügendem Einklänge bleiben. Da man aber nicht nur die Jahre nach der Sonne, sondern auch die Monate und Tage nach dem Monde rechnen muß, so suchte man nach einem Verfahren, durch welches man auch dieser Anforderung gerecht werden könnte. Da also der Mondmonat genau genommen 29 12 und  133 Tage2 beträgt, in der 8jährigen Periode aber mit Einschluß der Schaltmonate 99 Monate enthalten sind, so multipliziert man die Summe der Monatstage 29 12 +  133 mit 99 und erhält 2923 12 Tage, man muß also in acht Jahren 2923 12 Tage nach dem Monde rechnen. Nun hat aber das Sonnenjahr 365 14 Tage, acht Jahre fassen also 2922 Tage, die man erhält, wenn man die Jahrestage mit 8 multi­pliziert. Da nun die Tage nach dem Monde 2923 12 betrugen, so werden wir in jeder achtjährigen Periode im Verhältnis zum Monde 1 12 Tage zurückbleiben. Folglich werden wir in 16 Jahren drei Tage gegen den Mond zurückbleiben. Aus diesem Grunde werden in jeder 16jährigen Periode (ἑϰϰαιδεϰαετηρίς) mit Rücksicht auf den Mondlauf 3 Tage hinzugesetzt, damit wir die Jahre nach der Sonne, die Monate und Tage nach dem Monde rechnen. Läßt man diese Berichtigung eintreten, so hat sie aber wieder einen anderen Fehler im Gefolge. Nämlich jene in den 16 Jahren hinzugesetzten 3 Tage verursachen in 160 Jahren ein Voraussein im Verhältnis zur Sonne von 30 Tagen oder einem Monat. Aus diesem Grunde wird alle 160 Jahre ein Schaltmonat aus einer der 8jährigen Perioden heraus­genommen, d. h. anstatt der 3 Monate, welche in 8 Jahren ein­geschaltet werden sollen, werden nur zwei eingeschoben3. So ist dann wieder von vorn nach Auslassung dieses Monats hinsichtlich


1) Vgl. VIII 3.

2) Der Überschuß  133 Tage oder 43m 38s ist vermutlich eine rohe Abgrenzung der Hipparchschen Mondmonatslänge von 29d 12h 44m 3s und also um 25s gegen letzteren Wert zu klein. Die Monatslänge wird (s. oben) weiterhin von Geminos berichtigt.

3) Die 160 jährige Periode beträgt also 20 · 2923 12 − 30 = 58440 Tage oder 20 · 99 − 1 = 1979 Monate.

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der Jahre mit der Sonne Übereinstimmung vorhanden. — Trotz dieser Verbesserung wird noch keine Übereinstimmung mit dem Himmel er­zielt. Denn die ganze 8jährige Periode stellt sich durchaus als fehlerhaft heraus hinsichtlich der Monate, Tage und Schaltmonate. Die Monatslänge ist nämlich nicht genau genommen. Die Monats­länge beträgt genau 29 Tage, 31 erste, 50 zweite, 8 dritte, 20 vierte Sechzigstel1. Deshalb wird man schließlich einmal in 16 Jahren an­statt 3 Schalttage ihrer vier zusetzen müssen. Daher darf man in keiner Periode die gleiche Anzahl hohle wie volle Monate annehmen, es muß vielmehr die Zahl der vollen jene der hohlen überwiegen. Wenn nämlich die Monatslänge nur 29 12 Tage betrüge, so müßte man die gleiche Zahl von vollen und hohlen Monaten annehmen. Nun hat aber die Monatslänge noch einen kleinen, wahrnehmbaren Bruchteil, welcher mit der Zeit zur Größe eines Tages anwächst. Aus diesem Grunde wird man die Zahl der vollen Monate die der hohlen überwiegen lassen müssen".

Censorin2 sagt folgendes aus: „Veteres in Graecia civitates cum animadverterent, dum sol annuo cursu orbem suum circumit, lunam novam interdum tridecies exoriri idque saepe alternis fieri, arbitrati sunt lunares duodecim menses et dimidiatum ad annum naturalem convenire. itaque annos civiles sie statuerunt, ut intercalando face­rent alternos duodecim mensum, alternos tredecim, utrumque annum separatim vertentem, iunctos ambo annum magnum vocantes. idque tempus trieterida appella­bant, quod tertio quoque anno intercalabatur, quamvis biennii circuitus et revera dieteris esset ..... postea cog­nito errore hoc tempus duplicarunt et tetraëterida fecerunt: sed (et) eam, quod quinto quoque anno redibat, pentaëterida nominabant. qui annus magnus ex quadriennio commodior visus est ⁎⁎ solis annum constare3 ex diebus CCCLXV et diei parte circiter quarta, quae unum in quadriennium diem conficeret. quare agon et in Elide lovi Olympio et Romae Capitolino quinto quoque anno redeunte celebratur. hoc quoque tempus, quod ad solis modo cursum nec ad lunae congruere videbatur, duplicatum est et octaëteris facta, quae tunc enneaëteris vocitata, quia primus eius annus nono quoque anno redibat.

Die dritte Stelle, die für unsern Gegenstand in Betracht kommt, gibt Herodot4 in einer dem Solon und Krösos zugeschriebenen


1) Die Auflösung der Sechzigstelteilung in dieser Angabe gibt 29,530594 Tage als Monatslänge, d. h. den Hipparchschen Betrag 29d 12h 44m13s

2) c. XVIII 2—4.

3) Verschieden ergänzt: ut annus solis constaret, oder quod solis annus constaret ....

4) I 32: Ἐς γὰρ ἑβδομήϰοντα ἔτεα οὖρον τῆς ζόης ἀνϑρώπῳ προτίϑημι. οὖτοι ἐόντες ἐνιαυτοὶ ἑβδομήϰοντα παρέχονται ἡμέρας δηϰοσίας ϰαὶ πενταϰισχιλίας ϰαὶ δισμυρίας, ἐμβολίμου [Fortsetzung der Fußnote]

Ginzel, Chronologie II. 24

[370 XI. Kapitel. Zeitrechnung der Griechen.]

Unterredung: „Ich stecke das Ziel des menschlichen Lebens auf 70 Jahre. Diese 70 Jahre geben 25200 Tage, wenn man den Schalt­monat nicht in Rechnung bringt. Will man aber ein Jahr ums andere um einen Monat verlängern, damit die Jahreszeiten zur Stelle zurück­kehren, so kommen 35 Schaltmonate auf 70 Jahre, welche 1050 Tage enthalten. Unter allen dann auf 70 Jahre gehenden 26250 Tagen führt jeder seine eigentümlichen Ereignisse herbei.“


[Anfang der Fußnote] μηνὸς μὴ γινομένου· ἐι δὲ δὴ ἐϑελήσει τοὔτερον τῶν ἐτέων μηνὶ μαϰρότερον γίνεσϑαι, ἵνα δὴ αἱ ὦραι συμβαίνωσι παραγινόμεναι ἐς τὸ δέον, μῆνες μὲν παρὰ τὰ ἑβδομήϰοντα ἔτεα οἱ ἐμβόλιμοι γίνονται τριήϰοντα πέντε, ἡμέραι δὲ ἐϰ τῶν μηνῶν τούτων χίλιαι πεντήϰοντα. τούτων τῶν ἁπασέων ἡμερέων τῶν ἐς τὰ ἑβδομήϰοντα ἔτεα. ἐουσέων πεντήϰοντα ϰαὶ διηϰοσίων ϰαὶ ἑξαϰισχιλίων ϰαὶ δισμυρίων, ἡ ἑτέρη αὐτέων τῇ ἑτέρῃ ἡμέρῃ τὸ παράπαν οὐδὲν ὁμοῖον προσάγει πρῆγμα.

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