Über die älteste Jahrform geben die römischen Schriftsteller verschiedene, mehr oder weniger voneinander abweichende Nach-
richten, welche erkennen lassen, daß zu ihrer Zeit schon keine sichere Überlieferung mehr über das ursprüngliche Jahr der Römer vorhanden war. Darin sind sie indessen ziemlich einstimmig, daß es ein zehnmonatliches Jahr gewesen sein soll. Der älteste dieser in Betracht kommenden Autoren, de lingua latina (noch vor der Kalenderreform 46 v. Chr.) die Monate Ianuarius, Februarius als hinzugefügte bezeichnet, hat er wahrscheinlich ebenfalls ein altes zehnmonatliches Jahr angenommen. Gegenüber den genannten Autoren kommen die späteren, wie , , weniger in Betracht, doch setzt der
(Konsul 189 v. Chr.) nennt schon dieses zehnmonatliche Jahr, habe es in ein zwölfmonatliches verwandelt; nach hätte erst ( ) zwei Monate zu den zehn hinzugefügt. (Tribun 73 v. Chr.) und nehmen dagegen ein zwölfmonatliches Jahr von Anfang (seit ) als bestehend an1. Die Meinung des ist nicht deutlich ausgesprochen; doch hielt er die zehn Monatsnamen für sehr alte, von den Latinern hergenommene; da er in seiner Schrift1) Annum vertentem Romae Licinius quidem Macer et postea Fenestella statim ab initio duodecim mensum fuisse scripserunt; sed magis Iunio Gracchano et Fulvio et Varroni et Suetonio aliisque credendum, qui decem mensum putarunt fuisse, ut tunc Albanis erat, unde orti Romani ... XX 3: hi decem menses dies CCCIIII hoc modo habebant, Martius XXXI, Aprilis XXX, Maius XXXI, Iunius XXX, Quintilis XXXI, Sextilis et September XXX, October XXXI, November et December XXX, quorum quattuor maiores pleni, ceteri sex cavi vocabantur ... XXII 9: Nomina decem mensibus antiquis Romulum fecisse Fulvius et Iunius auctores sunt, et quidem duos primos a parentibus suis nominasse, Martium a Marte patre, Aprilem ... Maium. — Iunium ... Quintilem usque Decembrem perinde a numero ... 10: Varro autem Romanos a Latinis nomina mensum accepisse arbitratus auctores eorum antiquiores quam urbem fuisse satis argute docet .... 13: ... ceterum Ianuarium et Februarium postea quidem additos, sed nominibus iam ex Latio sumptis; et Ianuarium ab Iano, cui adtributus est, nomen traxisse, Februarium a februo. — Sat. I 12, 9: Non igitur mirum in hac varietate Romanos quoque olim auctore Romulo annum suum decem habuisse mensibus ordinatum, qui annus incipiebat a Martio et conficiebatur diebus CCCIIII, ut sex quidem menses, id est Aprilis Iunius Sextilis September November December, XXX essent dierum, quattuor vero, Martius Maius Quintilis October XXXI expedirentur, qui hodieque septimanas habent Nonas, ceteri quintanas (vgl. I 12, 38). — Solin. I 35: Romani initio annum decem mensibus computaverunt, a Martio auspicantes ... I 36: deinde numero decurrente December solemnem circuitum finiebat intra diem trecentesimum quartum; tunc enim iste numerus explebat annum, ita ut sex menses tricenum dierum essent, quattuor reliqui tricenis et singulis expedirentur. — Noct. att. III 16, 16: Id cum ego ad complures grammaticos attulissem, partim eorum disputabant Homeri quoque aetate, sicuti Romuli, annum fuisse non duodecim mensium, sed decem. — ad Verg. Georg. I 43: Novum ver ideo ait, quia anni initium mensis et Martius; et sciendum, decem tantum menses fuisse apud maiores. — Vgl. Fast. I 27, III 99, III 119.
XX 2:erstere ebenfalls zehn Monate voraus ; abweichend ist Ianuar und Februar von zuerst hinzugefügt worden und daß das römische Jahr anfänglich nur zehn Monate gehabt habe.“ Die noch später lebenden, dem 3. bis 5. Jahrh. n. Chr. angehörenden Schriftsteller , , , stimmen, obwohl sie über die Ausgleichung des ursprünglichen Jahres mit dem Sonnenlaufe etwas abweichende Ansichten kundgeben, in der Annahme von zehn Monaten überein (s. oben S. 221 Anm. 1). Danach fing das Jahr mit dem Martius an, und die weiteren Monate waren Aprilis, Maius, Iunius, Quintilis, Sextilis, September, October, November, December; vier davon seien volle, nämlich mit 31 Tagen gewesen: Martius, Maius, Quintilis und October, die übrigen sechs hohle Monate mit nur 30 Tagen. Wir erhalten somit ein Jahr von 304 Tagen.
1; nach ihm „waren die Monate der Römer (zu Zeit) sehr verworren und widersinnig, da sie einige nicht einmal zu 20, andere dagegen mit 35 und noch mehr Tagen ansetzten; sie kümmerten sich nicht um den Unterschied vom Laufe der Sonne und des Mondes, sondern achteten bloß darauf, daß das Jahr aus 360 Tagen bestünde.“ Nachdem den als Verbesserer des Kalenders genannt und die Neueinrichtungen des letzteren beschrieben hat, setzt er noch hinzu: „Viele behaupten, daß die zwei MonateEin Jahr von 304 Tagen ist weder durch die Mondbewegung noch durch den Sonnenlauf begründbar; es hat daher schon die früheren Chronologen zu Erklärungen herausgefordert. Hier haben wir nur mit den Neueren zu tun. Nach 5⁄12 Tagen gerechnet, wodurch der Ansatz des Zehnmonat Jahres nun auf 304 Tage gekommen wäre. wendet dagegen ein, daß der Monat in Geschäfts- und Rechtsachen nur zu 30 Tagen gerechnet worden sein könne, also ein zehnmonatliches juristisches Jahr höchstens 300 Tage gehabt hätte. Die Ursache von zehn Monaten sei vielmehr, daß man das Jahr immer mit dem Frühling habe beginnen wollen, und da nun mit dem Dezember alle Feldarbeit, die Tätigkeit der Natur und der Götterdienst zu Ende war, habe man die Zeit vom Ende Dezember
wäre das in Rede stehende Jahr ehemals ein für den Geschäftsverkehr (zu Zinszahlungen und dergleichen) benutztes von 10 synodischen Mondmonaten, also etwa 295 Tage fassend, gewesen; später, nach der Kalenderverbesserung der Dezemvirn, hätten die römischen Juristen entsprechend dem Sonnenjahre von 365 Tagen den Geschäftsmonat 365 : 12 = 301) Num. 18: ῾Ρωμύλου γὰρ βασιλεύοντος ἀλόγως ἐχρῶντο τοῖς μησὶ ϰαὶ ἀτάϰτως, τοὺς μὲν οὐδὲ εἴϰοσιν ἡμερῶν, τοὺς δὲ πέντε ϰαὶ τριάϰοντα, τοὺς δὲ πλειόνων λογιζόμενοι, τῆς δὲ γενομένης ἀνωμαλίας περὶ τὴν σελήνην ταὶ τὸν ἥλιον ἔννοιαν οὐϰ ἔχοντες, ἀλλ᾽ ἓν φυλάττοντες μόνον, ὅπως ἑξήϰοντα ϰαὶ τριαϰοσίων ἡμερῶν ὁ ἐνιαυτὸς ἔσται.
bis Anfang Martius als eine tote Zeit nicht nach Monaten benannt, also nicht mitgezählt, Bruma (Winter) an gerechnet wurde; außerdem soll aus der mit Rom vereinigten quiritischen Ansiedlung ein zehnmonatliches Mondjahr mit 282 Tagen, ein quiritisches Jahr, hervorgegangen sein, von den Palilien (April) anfangend. will in dem zehnmonatlichen Jahre eine Anlehnung an das alte sche Sonnenjahr sehen; zehn Abschnitte des letzteren reichen etwa bis zur Winterwende, die weiteren zwei Abschnitte bis zu Arkturs Spätaufgang habe man später hinzugenommen und so einen Übergang auf ein zwölfmonatliches Sonnenjahr geschaffen. — Für das zehnmonatliche Jahr hat man außerdem nach Stützen in den Gebräuchen und Institutionen der Römer gesucht und solche z. B. in geschichtlichen zehnmonatlichen Waffenstillständen, in ebenso langen Fristen für die Rückzahlung der Mitgift sowie für die Witwentrauer zu finden geglaubt; nur die letzteren beiden Usancen sind begründbar.1
ist ungefähr derselben Ansicht, das zehnmonatliche Jahr sei in der alten Zeit noch bloß als Ausdruck des Sonnenlebens betrachtet worden. Dieses romulische bürgerliche Jahr hatte zehn Monate zu je 30 Tagen. Die weiteren Vorstellungen s sind verworren und weitgehend: neben dem bürgerlichen Jahre habe ein priesterliches von zwölf Monaten mit 360 Tagen existiert, welches von derNoch sonderbarer als das zehnmonatliche Jahr scheint die schon (S. 222) mitgeteilte Bemerkung , daß die römischen Monate anfänglich regellos, 20, 35 und mehr Tage fassend, gewesen sein sollen. Hierzu stimmt die Bemerkung des , daß das Jahr vom Reiche Saturns bis auf Roms Gründung nach dem Monde bemessen und von in zehn Monate geteilt worden sei, von denen einige viel mehr als 30 Tage und andere weniger gehabt hätten2; und der zuverlässige berichtet über die Italiker3, daß in Alba der März 36 Tage, der Mai 22, der Sextilis 18, der September 16 Tage, in Tusculum der Quintilis 36, der October 32, in Aricia der letztere 39 Tage gehabt habe. Diese letztere Nachricht ist von den meisten als ein chronologisches Märchen angesehen worden.
Bei den Berichten der Alten über das zehnmonatliche Jahr müssen wir annehmen, daß es sich um den Zustand der Zeitrechnung
1) Betreffs der 10monatlichen ratenweisen Rückzahlung der Mitgift vgl.
XXXII 13; betreffs der 10monatlichen für Witwen und Kinder vgl. 321, Numa 12, u. a.2) Ἐπὶ δὲ ῾Ρωμύλου ὁρίζεται, ὡς ἐλέγομεν ἔμπροσϑεν, δεϰαμηνιαῖος, τῶν μὲν ὑπέρ τριαϰάδος ἡμέρας [πλείους] πολλῷ, τῶν δὲ ἐλάττονας λαχόντων μηνῶν.
de mens. I 16 [ ]:3) Apud Albanos Martius est sex et triginta, Maius viginti duum, Sextilis duodeviginti, September sedecim : Tusculanorum Quintilis dies habet XXXVI, October XXXII, idem October apud Aricinos XXXVIIII.
XXII 6:in der vorhistorischen Zeit Roms, also in der Zeit vor IX. Kapitel über das Jahr jener Naturvölker vorgeführt wurden, die sich etwa in dem Übergangsstadium von der Stufe der Bodenbewirtschaftung und der Viehzucht zu der Stufe des Handels, der Gewerbe und der einfachsten staatlichen Einrichtungen befinden. Wir hatten dort aus wohl hinreichenden Beispielen über die Naturvölker Asiens und Amerikas gefunden, daß das zwölfmonatliche Jahr nur ausnahmsweise bei diesen Völkern vorkommt, daß vielmehr von 10 bis 14 Abschnitten der Zeit die Rede ist, nach welcher sich die Arbeit regelt, die im Laufe des Jahres getan wird. Das Jahr selbst ist überall ein rohes Naturjahr, dessen Länge nur ungefähr bekannt ist und dessen Wiederkehr (oder Hauptpunkte) bei den geistig entwickelteren Völkern mit Hilfe der Verfolgung der Orte der Sonne am Horizont festgestellt wird. Die Zeitabschnitte haben meist noch keinerlei Zusammenhang mit der Mondbewegung oder den Phasen, sondern werden durch markante Erscheinungen der Tier- und Pflanzenwelt bestimmt, sind daher sehr ungleich in bezug auf Länge. In ähnlicher Weise können die Römer der ältesten Zeit für die Regelung ihrer jährlichen Feldarbeit zehn Zeitabschnitte von ungleicher Länge hergestellt haben, die sich auf das Blühen, die Reife
handelt. In diese altersgraue Zeit, in welcher die Römer ihre Monatsnamen von Nachbarvölkern entlehnten, setzt das zehnmonatliche Jahr. Die Römer waren damals noch Ackerbauer und Viehzüchter; ihre sozialen Fortschritte, und mit diesen die Zeitrechnung, können sich nur nach dem langen Prozesse, den die Entwicklung der Zivilisation bei den dafür begabten Völkern durchläuft, vom rohen zum feineren ausgebildet haben. In dieser Urzeit Roms war die Zeitrechnung noch regellos und verworren, sagt . Da Völker auf dieser Zivilisationsstufe noch mit der näherungsweisen Kenntnis eines Naturjahres ausreichen, so scheint es mir nicht gerechtfertigt, für diese Periode schon die Kenntnis der Länge des Sonnenjahres anzunehmen und das zehnmonatliche Jahr aus vollen und hohlen Sonnenmonaten zu erklären. Ebensowenig kann man an ein Geschäftsjahr denken, da sich aus der Ausdrucksweise der Alten nicht entnehmen läßt, daß das zehnmonatliche Jahr eine nur auf einzelne Stände beschränkte Rechnungs weise gewesen wäre, abgesehen davon, daß man in der Urzeit eines Hirtenvolks noch nicht viel von Recht und Geschäft sprechen kann. Zur Erklärung der Entstehung des zehnmonatlichen Jahres in jener entlegenen Zeit, für welche schon den oben genannten römischen Autoren die historischen Quellen völlig versagten, scheint es viel näherliegend, die Entwicklungsweise der Zeitrechnung anderer Völker in Parallele zu ziehen. Damit kommen wir auf die Notwendigkeit, die ethnologischen Resultate zu gebrauchen, welche imgewisser Pflanzen usw. und auf die in diesen Zeiten zu verrichtenden Feld- und Hausarbeiten bezogen und ein Naturjahr ungefähr ausfüllten. Auf diese Weise läßt sich das zehnabschnittliche Jahr, welches von den Schriftstellern mißverstanden und in ein zehn„monatliches“ verwandelt wurde, erklären; dadurch gewinnt auch das angebliche Märchen von den sehr ungleich langen „Monaten“ bei den Albanern, Tusculanern usw. (s. oben) an Wahrscheinlichkeit; waren solche Zeitabschnitte bei den Nachbarstämmen vorhanden, so werden auch die Römer sie gehabt haben.
Auch noch ein anderer Weg öffnet sich zur Erklärung des zehnmonatlichen Jahres durch die ethnologische Betrachtung. Im Kapitel IX (S. 128 f.) bin ich auf die Beantwortung der Frage gekommen, warum in dem alten mangsa-Jahre auf Java die ersten zehn Monate nach den Ordnungszahlen, die letzten beiden Monate aber mit indischen Namen benannt werden. Nach der dort erwähnten Hypothese von kamen ehemals auf Java für den Reisanbau, die Haupttätigkeit des Volkes, nur die ersten 10 mangsa (ungleiche Jahresabschnitte) in Betracht, der Rest des Jahres wurde als tote (untätige) Zeit nicht mitgerechnet, und erst mit dem Eindringen indischer Kulturelemente wurden noch zwei fremde Monatsnamen übernommen. Wollen wir eine ähnliche Entwicklungsart des Jahres für die römischen Landbebauer gelten lassen, so würde deren zehnmonatliches Jahr ebenfalls erklärt sein; wir würden uns dann stark den schon von und ausgesprochenen Vermutungen (s. oben) nähern. Ich wage nicht zu entscheiden, welche von den beiden hier gegebenen Hypothesen die zutreffende ist, aber ich möchte derjenigen den Vorzug geben, nach welcher das älteste römische Jahr ein Naturjahr war, das in zehn verschieden lange Zeitabschnitte zerfiel.
Was die Zahl von 304 Tagen betrifft, welche mehrere der alten Autoren dem zehnmonatlichen Jahre geben, so ist dieselbe nur eine künstliche Konstruktion; da es in der späteren Zeit des römischen Jahres bereits 31tägige Monate gab, so machten die Antiquare davon Gebrauch und setzten das zehnmonatliche Jahr aus 4 solchen Monaten und sechs 30tägigen zusammen.