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[32 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

§ 143. Die mosaischen Feste.

Im § 141 sind die ältesten Feste erwähnt worden, welche von den Israeliten wahr­scheinlich schon in Kanaan übernommen sind. Es waren, wie dort bemerkt, drei agrarische Feste, welche in der Zeit des Frühlingsbeginns und der Frühjahrsernte und beim Abschluß der Gesamternte und der jährlichen Feldarbeit abgehalten wurden. Die mosaischen Feste haben sich unmittelbar aus diesen entwickelt.

a) Das Passah hat den Charakter einer ehemaligen Sühnefeier in der mosai­schen Gesetzgebung ganz verloren, aber der frühere Zusammenhang mit dem Massôth-Feste ist noch sichtbar, indem nicht nur in den Schriften beide Feste, das Pesach und das chaq hamasôth (Fest der ungesäuerten Brote, Festum azymorum) deutlich voneinander unterschieden werden, sondern auch die das letztere Fest charakteri­sierende Vorschrift, „ungesäuerte Brote“ zu essen, hinter das eigent­liche Passah (vom 14. bis zum 21. Tage) gesetzt wird. Die Sühne­feier, deren vornehmsten Teil ehemals wahrscheinlich gemeinsame Opfermahlzeiten bildeten, erscheint in ein häusliches Fest zum Ge­dächtnis an den Auszug aus Ägypten umgewandelt und soll jetzt

[§ 143. Die mosaischen Feste. 33]

von jedem einzelnen gehalten werden. Das Passah erfordert das Opfer des jungen Tiers, das Massôth die Erstlinge der Frühjahrsernte; das Doppelfest, dessen Name Passah späterhin zu einer gemeinsamen Bezeichnung gebraucht wird, kann daher nur in das Frühjahr fallen. Demgemäß setzt Moses das Fest in den „Ährenmonat“ Abîb, und zwar, mit Erinnerung an den lunaren Charakter des Festes, auf den 14. Tag, den Vollmondtag. Die Feier1 beginnt an diesem Tage abends mit dem Schlachten des Opferlamms, dann folgt das Festmahl durch die Nacht hindurch bis zum Morgen des 15. Tages. Dieser letztere Tag und der Schlußtag des Massôth, der 21., sind strenge Sabbattage, an denen jede Arbeit verboten ist. Das Essen der ungesäuerten Brote wird vom 14. bis einschließlich 21. Tag vorgeschrieben; am 16. ist das ‘omer, die reifen Ähren der eben geernteten Gerste, darzu­bringen. Eine späte Bestimmung2 erleichtert das Passah für jene, die aus einem triftigen Grunde an der Feier nicht teilnehmen konnten: diese dürfen es im zweiten Monat begehen.

b) Das Wochenfest (Pfingstfest), der Schluß der Frühlings­feier, erhält durch das mosaische Gesetz seine feste Zeit: sieben Wochen nach Passah (so lange pflegte die Frühjahrsernte in Palästina zu dauern) soll es abgehalten werden3. Das Fest heißt meist das


1) Exod. XII 6: Ihr sollt es (das junge Lamm) bis zum 14. Tage dieses Monats aufbewahren und die ganze Gemeinde Israel soll es schlachten gegen Abend .... 15: Sieben Tage sollt ihr ungesäuerte Brote essen; gleich am 1. Tage sollt ihr den Sauerteig aus euren Häusern schaffen, denn jeder, der Gesäuertes ißt vom 1. bis zum 7. Tage, der soll aus Israel ausgerottet werden. 16: Am 1. Tage sollt ihr eine Festversammlung im Heiligtum und am 7. Tage ebenfalls eine Fest­versammlung im Heiligtum halten; keine Arbeit darf an ihnen verrichtet werden, nur was der einzelne an Nahrung nötig hat, das allein darf von euch bereitet werden. 17: So beobachtet denn die Verordnung der ungesäuerten Brote, denn an eben diesem Tage habe ich eure Heerscharen aus Ägypten herausgeführt, darum sollt ihr diesen Tag in euren Generationen als eine Einrichtung auf ewige Zeiten be­obachten. 18: Im 1. Monat am 14. Tage des Monats am Abend sollt ihr ungesäuerte Brote essen bis zum 21. Tage des Monats am Abend. 19: 7 Tage lang soll kein Sauerteig in euren Häusern zu finden sein ... [vgl. XXIII 15]. — Levit. XXIII 5: Im 1. Monat am 14. Tage gegen Abend soll die Passahfeier stattfinden. 6: und am 15. Tage das Massôthfest für Jahve .... 8: und Feueropfer sollt ihr 7 Tage lang darbringen ...Deuteron. XVI 1: Achte auf den Monat Abîb und ver­anstalte das Passah für Jahve deinen Gott, denn im Monat Abîb hat Jahve dich bei Nacht aus Ägypten weggeführt [folgen bis 8 die Opfervorschriften]. — Vgl. Num. XXVIII 11—25.

2) Num. IX 10: Wenn irgend jemand von euch oder eueren Nachkommen sich an einer Leiche verunreinigt hat oder auf einer weiten Reise begriffen sein sollte, so soll er doch das Passah für Jahve begehen. 11: Im zweiten Monat am 14. Tage gegen Abend sollen (solche) es begehen.

3) Levit. XXIII 15: Dann sollt ihr von dem Tage nach dem Sabbat, von dem Tage ab, an dem ihr die Weihegabe dargebracht habt, sieben Wochen ab­zählen, volle Wochen sollen es sein. 16: bis zu dem Tage, der auf den 7. Sabbat [Fortsetzung der Fußnote]

Ginzel, Chronologie II. 3

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„Fest der Wochen„ (chaq šabuot), wird aber auch „Tag der Erstlinge“ (jôm habicurim) oder „Erntefest“ (chaq hakasir) genannt, nach den Gaben des Weizens, welche vorzugsweise geopfert wurden; bei Philo heißt es „Fest der Wochen“ (ἑορτὴ τῶν ἑβδομάδων), bei dem Verfasser des Buches Tobias ἁγία ἑπτὰ ἑβδομάδων (Fest der sieben Wochen), bei den Kirchenschriftstellern ἑορτὴ τῆς πεντηϰοστῆς oder πεντηϰοστή (das Fest des 50. Tages), woraus die jetzt noch üblichen Bezeichnungen Pentecoste und Pfingsten entstanden sind. Bei Josephus heißt das Fest auch ἀσαρϑά (Festversammlung).

c) Das Hüttenfest, welches wir als Dankfest am Schluß des Bauernjahrs schon angetroffen haben, wird auf den 15. Tag des siebenten Monats angeordnet1. Es heißt nach den Hütten (succoth), die aus Baumzweigen geflochten waren und in denen man während der Jahresernte auf dem Felde wohnte, „Laubhüttenfest“ (chaq hasuccoth); auch die Bezeichnung „Fest der Einsammlung“ (chaq haasif), mit Beziehung auf die frühere Bedeutung als Fest der Obst- und Wein­lese, kommt vor. Wegen der am 8. Tage vorgeschriebenen Ver­sammlung im Tempel wird es noch עצרת ‘asereth (Versammlung) genannt. Bei Philo heißt das Laubhüttenfest σϰηαί, bei den griechischen Schriftstellern σϰηνοπηγίαι, σϰηνώματα, ἑορτὴ τῶν σϰηνῶν, in der In­schrift von Berenike2 σϰηνοπηγίαι. Der 15. und 22. Tag des siebenten Monats waren durch Verbot der Arbeit geheiligte Sabbate.


[Anfang der Fußnote] folgt, sollt ihr fünfzig Tage abzählen und dann Jahve ein Speisopfer von neuem Getreide darbringen. — Deuteron. XVI 9: Zähle dir 7 Wochen ab, von da ab, wo man die Sichel an den Halm legt, beginne 7 Wochen zu zählen. 10: Dann ver­anstalte das Wochenfest für Jahve an freiwilligen Gaben .... — Vgl. Num. XXVIII 26—31.

1) Levit. XXIII 34: Am 15. Tage dieses siebenten Monats soll das Hütten­fest sieben Tage lang Jahve zu Ehren stattfinden. 35: Am ersten Tage ist Fest­versammlung am Heiligtum, keine Werktagarbeit dürft ihr an ihm verrichten. 36: Sieben Tage lang sollt ihr Feueropfer darbringen, und am achten Tage sollt ihr (abermals) Festversammlung am Heiligtum halten und für Jahve Feueropfer darbringen, die Asereth ist es, keine Werktagarbeit dürft ihr (an ihr) verrichten. — Deuteron. XVI 13: Das Laubhüttenfest feiere sieben Tage lang, wenn du den Ertrag von deiner Tenne und Kelter einsammelst. — Vgl. Num. XXIX 12—35. — Nehemia VIII 15: Ziehet hinaus ins Gebirge und bringt Olivenlaub und Laub vom Ölbaum ... und sonstiges Laub ... um Hütten zu machen nach Vorschrift.

2) Die oben erwähnte Inschrift aus Berenike (in Cyrenaica) wurde in Tripolis gefunden, nach Aix (Provence) gebracht und befindet sich gegenwärtig im Museum von Toulouse (Corp. Inscr. Graec. III n. 5361; Catalogue des Antiqu. du Musée de Toulouse 1866, n. 225). In der Inschrift heißt es: im 55. Jahre am 25. Phaophi zur Zeit der Laubhüttenversammlung (Ἔτους νε Φαῶφ ϰε, ἐπὶ συλλόγου τῆς σϰηνοπηγίας). Die Ermittelung der Ära, nach welcher in der Inschrift datiert ist, haben schon Wesseling (1738) Fréret, de la Nauze und Gibert (1754), später wiederum Wieseler (1843), Gumpach (1848), Anger, Frankel (1850), Marquardt (1881) ver­sucht. Die Hypothesen, sowie Literatur und Text findet man bei E. Schürer, Gesch. d. jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3. Bd., 4. Aufl., Leipz. 1909, S. 79—81 [Fortsetzung der Fußnote]

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d) Zu diesen drei alten Festen tritt in der mosaischen Gesetz­gebung der Versöhnungs- oder Auslösungstag (jôm hakippurim), ein strenger Fasttag, von Philo νηστείας ἑορτή (Fest des Fastens) ge­nannt. Dieser neue Festtag fällt 5 Tage vor dem Hüttenfest, auf den 10. des 7. Monats und bildet eine Vorfeier für das letztere Fest. Es ist als Vorbereitung, Tilgung der Sünden und der Unreinheit, als eine Aussöhnung mit Gott aufzufassen, um das Dankfest des Herbstes würdig feiern zu können. Der Tag sollte ein Ruhetag, verbunden mit strengen Fasten1, sein und wird als solcher Jetzt noch gehalten2.


[Anfang der Fußnote] zusammengestellt. Einige Autoren nehmen an, daß es sich in der Inschrift um Jahre der Ära des Augustus (30 v. Chr., s. I 226) handle, andere, daß nach dem ägyptischen Wandeljahre gerechnet sei; wieder andere gehen von historischen Gründen aus und suchen nach einer lokalen Ära. Nauze fand als erstes Jahr der Ära 96 oder 95, Fréret 88 oder 87, Gibert 67, Wieseler, Gumpach u. a. 29 oder 30 v. Chr.; s. auch neuestens Westberg, Die biblische Chronol. nach Flav. Josephus, Leipz. 1910, S. 101—103; nach einer mir zugegangenen brieflichen Mittei­lung hat sich Westberg zuletzt für die Gleichung 55. Jahr = 19 v. Chr., also 1. Jahr der Ära 73 v. Chr. entschieden. Schürer hat das von Gibert an­gegebene Jahr 67 v. Chr. als das wahrschein­lichste angenommen, die Inschrift würde dann in das Jahr 13 v. Chr. gehören. Für die technische Chronologie hat die vereinzelte Datierung zu wenig Wichtigkeit; da außerdem die mitsprechenden chronologischen und historischen Fakta zu einer Entscheidung nicht ausreichen, begnüge ich mich mit vorstehenden Notizen.

1) Levit. XVI 29: Am 10. Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keinerlei Werk tun, weder der Einheimische noch der Fremde, der in euerer Mitte weilt. 30: Denn an diesem Tage soll man euch Sühne verschaffen, um euch zu reinigen, von allen eueren Sünden sollt ihr da vor Jahve rein werden. 31: Ein Tag unbedingter Ruhe soll er für euch sein und ihr sollt fasten, das ist für ewige Zeiten gültige Satzung. — XXIII 31: Keinerlei Arbeit dürft ihr an ihm verrichten. 32: Ein Tag vollkommener Ruhe soll es euch sein und ihr sollt euch kasteien; am 9. Tage des Monats am Abend, von diesem bis (zum nächsten) Abend sollt ihr den euch befohlenen Ruhetag halten. (Num. XXIX 7—11.)

2) C. V. L. Charlier will den Versöhnungstag mit der Orientierung der alt­jüdischen Tempel in Verbindung bringen (s. sub Literatur § 159, Feste); an diesem Tage seien um 500 v. Chr. die Strahlen der Sonne längs der Hauptachse der Tempel in das Allerheiligste gefallen. Die Vorbedingungen dieses Versuches, welcher die phantastischen Spekulationen Lockyers über die Orientierungsbedeutung der ägyptischen und anderer Tempel (s. Nachträge zum I. Bande [zu S. 153] im vorliegenden II. Band) zum Vorbilde hat, sind an sich schon bedenklich. Über die Orientierung der altjüdischen Tempel ist sehr wenig bekannt, vom salomonischen Tempel nur, daß er „nach Osten“ gerichtet gewesen sein soll: „Ein monumentaler Beweis für die Richtigkeit der Annahme wird sich niemals führen lassen“ (H. Nissen, Orientation, Studien z. Geschichte d. Religion, Berlin 1906, S. 67). Ferner gehört die Einsetzung des Versöhnungstages erst in die verhältnismäßig jüngere Zeit des Alten Testaments (s. oben). Schließlich setzt der Versuch Charliers das Vor­handensein einer soweit geordneten Zeitrechnung voraus, daß man eine Bestimmung der Äquinoktialtage mit einiger Sicherheit vornehmen konnte. Nach allem, was in den obigen Paragraphen über die altjüdische Zeitrechnung vorgetragen werden mußte (s. bes. § 145 u. 146), war im 5. Jahrh. v. Chr. noch die Schaltung der [Fortsetzung der Fußnote]

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[36 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

e) Das Posaunenfest ist ebenfalls ein neues Fest, das in der Priesterschrift auftritt; durch dasselbe wird der Neumond, der erste Tag des siebenten Monats, geheiligt. Früher scheint dieser Neumondstag vor den übrigen durch keine besondere Feier ausge­zeichnet worden zu sein. Er soll jetzt durch Blasen auf der Posaune dem Volke als Festtag angekündigt werden1 und heißt deshalb jôm truah (der Truah-Tag; von jubeln, schreien, Lärm machen). Bei Philo heißt das Fest σαλπίγγων ἑορτή. Wie schon oben (S. 23 f.) erwähnt, schließt man gegenwärtig aus dieser Feier des ersten Tages des siebenten Monats, daß es sich hier um die Feier des neuen Jahres handelt und daß letzteres (das bürgerliche Jahr) damals im Herbst begonnen worden ist. Dies trifft mit der Ansicht überein, die wir über den ehemaligen Jahres­anfang als Schlußresultat haben aufstellen müssen (S. 26): daß der Neujahrsbeginn mit Herbst der althebräische und volkstümliche war und daß der Jahresanfang im Frühjahre erst seit dem Exil aufkam. Das Posaunenfest ist also vermutlich ein kirch­liches Fest, welches durch die Festsetzung auf den Neumond des be­ginnenden Herbstes den Jahresanfang besondere einweihen sollte. Dieser Monat war für das ackerbauende Volk ohnehin der wichtigste des ganzen Jahres, denn er brachte ihm Gewinn oder Verlust durch den Ertrag der Ernte, daher war der Neumond, der diesen Monat ein­leitete, einer besonderen Ankündigung würdig.

Zu den mosaischen Festvorschriften gehört schließlich noch die Heiligung der Sabbate2. Während diese ursprünglich Ruhetage oder Tage freudiger Zusammen­künfte des Volkes (mit gemeinsamen Opfermahlzeiten) waren, wurden sie späterhin zur Verehrung Jahves bestimmt.


[Anfang der Fußnote] Jahre eine willkürliche, und mit der Bestimmung der Jahrespunkte stand man erst im 2. Jahrh. im Anfange.

1) Levit. XXIII 24: Im 7. Monat am ersten Tage soll ein Ruhetag sein mit Mahnung durch Lärmblasen und (mit) Festversammlung im Heiligtum. 25: Keinerlei Werktagsarbeit dürft ihr an ihm verrichten und Feueropfer sollt ihr Jahve dar­bringen. — Vgl. Num. XXIX 1—6.

2) Exod. XX 8: Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligst. 9: Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun, 10: aber am siebenten Tage ist Sabbat für Jahve deinen Gott. Da sollst du keinerlei Werk tun. — Vgl. Exod. XXIII 12, XXXI 12—17, XXXIV 21, XXXV 2—3, Levit. XXIII 3.

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