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[§ 154. Moled und Dechijoth. 87]

§ 154. Moled und Dechijoth.

Wie im historischen Teil bemerkt wurde, mußte die Länge der Monate so lange eine unbestimmte bleiben, wie als Beginn der Monate das Erscheinen der neuen Mondsichel angenommen wurde, weil dieses Erscheinen von der jeweiligen Lage der Ekliptik gegen den Horizont abhängt und da außerdem die Monatslänge infolge der unregelmäßigen Bewegung des Mondes schwankt. In dem festen Kalender knüpfte man daher die Berechnung des Moled (מולד Geburt, Zeit der Konjunktion) an die mittlere Länge des synodischen Monats. Diese Länge ist, übereinstimmend mit den Babyloniern und Hipparch, wie schon bemerkt wurde, 29d 12h 44m 3s oder nach jüdischem Zeitmaß 29'^ 12h 793ch1. Der Zyklus von 19 Sonnenjahren, welcher


1) Die Elemente, welche der jetzigen jüdischen Zeitrechnung zugrunde liegen, findet man bei Albîrûnî (Chronol. of anc. nations) und Maimonides (Kidd. hachod. Kap. VI— VIII).

[88 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

235 synodischen Mondmonaten gleichkommt (I 65), hat daher eine Länge von 6939d 16h 595ch. Dividiert man letztere Zahl, um Wochen zu erhalten, durch 7, so ergeben sich 991 Wochen und ein Rest von 2d 16h 595ch; letzterer Überschuß zeigt an, um wieviel Tage, Stunden und Chalakim der erste Moled des 19jährigen Zyklus später anfängt, als der Moled des vorhergehenden, und heißt deshalb der Charakter des Zyklus. — Das Gemeinjahr des jüdischen Kalenders enthält mit seinen 12 Monaten danach 354d 8h 876ch, das Schaltjahr 383d 21h 589ch. Die Verwandlung dieser Beträge in Wochen gibt wieder Reste, beim Gemeinjahr 4d 8h 876ch, beim Schaltjahr 5d 21h 589ch; diese Überschüsse bezeichnet man als Charakter des Gemeinjahrs und des Schaltjahrs. Addiert man diese Beträge zum gege­benen Moled Tišri eines Jahres, so erhält man den Moled Tišri des folgendes Jahres. — Ebenso resultiert der Charakter des Monats 1d 12h 793ch, wenn man die Länge des Monats in Wochen verwandelt. Gesammelt, und wie es bisweilen geschieht, in den Zahlen durch hebräische Buchstaben ausgedrückt, repräsentieren sich also die Charakter folgenderweise:

derCharakterdes Monats = 1d12h793ch = א’יב’ תשצ’ג (Ajab tašsag)
der  „desGemeinjahrs = 4d8h876ch = ד’ח’ תתע’ו (Dach tatu)
der  „Schaltjahrs = 5d21h589ch = ה’כא’ תקפ’ט (Hecha takpaṭ)
der  „Zyklus = 6d16h595ch = ב’ע’ תקצ’ה (B'ju taksah)

Zur Berechnung der Zeit eines Moled ist noch der Ausgangspunkt der Rechnung erforderlich. Diesen Ausgangspunkt bildet der Moled Tišri, „der Moled der Schöpfung“, nämlich des ersten Jahres der W. Ä. 3761 v. Chr.; er wird auf den Tag 2d 5h 204ch gesetzt, d. h. auf einen Montag abends 11h 11 13m (s. oben S. 80); durch Buchstaben nach Zahlenwerten ausgedrückt, heißt der Moled auch Moled B'harad1. Um den Wochentag und die Tageszeit irgend eines Moled für einen Monat zu finden, wird man die Anzahl der seit dem Moled B'harad abgelaufenen Zyklen, Gemein- und Schaltjahre und eventuell die vom Tišri ab verflossenen Monate zu berücksichtigen haben. Die Zahl der abgelaufenen Zyklen erhält man durch Division des gegebenen Jahres der W. Ä. mit 19; der Quotient Q gibt die Zyklen, der übrig bleibende Rest sei R. Die Zahl R−1 ist die Anzahl der bereits abgelaufenen Jahre und besteht aus den Gemeinjahren und Schaltjahren G + S;


1) Der Moled heißt auch Moled Tohu. — Bei einigen jüdischen Chronologen finden sich andere Epochen des Moled Bharad. Manche nehmen dabei die Ära Adam (s. diese oben S. 74) und beginnen mit Neumond Tišri Freitag 8h morgens Ä. Adam 1; andere gehen vom 2. Jahre Ä. Adam aus (Ä. Adam 1 = 0 setzend) und akzeptieren Dienstag Nachmittag 4h 48m 40s als Epoche.

[§154. Moled und Dechijoth. 89]

die Zahl der seit Tišri abgelaufenen Monate sei M, so hat man die Größen Q, G, S und M mit den obigen Charaktern des Zyklus, der Gemein- und Schaltjahre und des Monats zu multiplizieren, und hierzu den Moled B'harad zu addieren, so daß das Resultat durch die Formel

2d 5h 204ch + (2d 16h 595ch) Q + (4d 8h 876ch) G + (5d 21h 589ch) S + (1d 12h 793ch) M

dargestellt wird. Aus dem Resultate läßt man die ganzen Wochen weg. Gewöhnlich wird nur der Moled des Jahresanfangs d. h. der Moled Tišri verlangt; das letzte mit M multiplizierte Glied ist dann überflüssig. Es seien z. B. die beiden Moled Tišri zu suchen für die Jahre 5669 und 5821 W. Ä. Für den ersten Fall hat man Q = 298, R−1 = 6 Jahre, wovon G = 4 (Gemeinjahre), S = 2 (Schaltjahre) sind; im zweiten Falle ist Q = 306, R−1 = 6, also ebenfalls G = 4, S = 2. Die Rechnung stellt sich dann wie folgt:


5669 W. Ä.
5821 W. Ä.
298 (2d16h595ch) = (3d12h190ch) 306 (2d16h595ch) = (4d0h630ch)
4 (4 8 876 ) = (3 11 264 ) 4 (4 8 876 ) = (3 11 264 )
2 (5 21 589 ) = (4 19 98 ) 2 (5 21 589 ) = (4 19 98 )





(4 18 552 )




(5 6 992 )
Mol. B'harad = (2 5 204 ) Mol. B'harad = (2 5 204 )





(6d23h756ch)




(7d12h116ch)

Im ersten Beispiele ist der Tag 6d = Freitag, welcher aber bereits am Donnerstag der Christen abends 6h anfängt; demnach ist die Zeit 23h 756ch = 17h 42m, und der Moled Tišri fällt Freitag nach­mittag 5h 42m. Im zweiten Falle ist Moled Tišri Sonnabend morgens 6h49m. Würde nicht der Moled Tišri gefordert, sondern der eines andern Monats, z. B. des 1. Tebeṭ, so hätte man das letzte Glied obiger Gleichung für M = 3, die abgelaufenen Monate Tišri, Marchešwan, Kislev, noch zu berücksichtigen, also noch 3 (1d 12h 793ch) = 4d 14h 219ch zu addieren. Die Rechnung nach der obigen Formel ist unbequem und kann durch zweckmäßig eingerichtete Hilfstafeln umgangen werden. Zu empfehlen ist umstehende Tafel von Nesselmann. Man sucht zuerst mit der Jahreszahl A, welche die nächst kleinere gegen die gegebene Jahreszahl der W. Ä. ist, den entsprechenden Moled B und notiert diesen. Von dem übrig bleibenden Reste beider Jahreszahlen subtrahiert man die gegen ihn nächst kleinere Zahl C der Tafel und schreibt den daneben stehenden Moled D unter den ersten. Mit dem neuen Reste E entnimmt man den Moled F und setzt diesen unter die beiden vorher notierten; die Summe der Moled

[90 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]
AB CD
02d 5h204ch 00d 0h0ch
2472  4 379  192  16 595 
4942  3 554  385  9 110 
7412  2 729  571  1 705 
9882  1 904  763  18 220 
12352  0 1079  956  10 815 
14822  0 174  1142  3 330 
17291  23 349  1334  19 925 
19761  22 524  1527  12 440 
22231  21 699  1713  4 1035 
24701  20 874  1905  21 550 
27171  19 1049  2091  14 65 
29641  19 144  2284  6 660 
32111  18 319 

34581  17 494 

37051  16 669  EF
39521  15 844 

41991  14 1019  10 

44461  14 114  24d 8h876ch
46931  13 289  31  17 672 
49401  12 464  47  15 181 
51871  11 639  54  23 1057 
54341  10 814  62  8 853 
56811  9 989  71  6 362 
59281  9 84  85  15 158 
61751  8 259  94  12 747 
64221  7 434  101  21 543 
66691  6 609  116  6 339 
69161  5 784  125  3 928 
71631  4 959  132  12 724 
74101  4 54  146  21 520 




155  19 29 




163  3 905 




177  12 701 




186  10 210 




193  19 6 

B + D + F gibt den verlangten Moled. Zu den beiden vorigen Beispielen hat man:

W. Ä.5669
W. Ä.5821
A =5434B = 1d10h814ch A =5681B = 1d9h989ch

235

140
C =228D = 4 6 660  C =133D = 4 19 925 
E =7F = 1 6 362  E =7F = 1 6 362 

6d23h756ch
7d12h116ch

Mehrere der neueren Tafeln, welche verschiedene Aufgaben über die jüdische Zeitrechnung lösen, lassen den Moled innerhalb sehr weiter Zeitgrenzen auf weit kürzere Art finden. Die Tafeln von Zuckermann

[§154. Moled und Dechijoth. 91]

(s. § 157) geben in Taf. I den Moled Tišri für die Anfangsjahre aller Zyklen von 4118—5986 W. Ä., sowie die Moledüberschüsse von Jahr zu Jahr und von Monat zu Monat in Taf. III. Man hat also nur zum Moled eines Anfangsjahres den Überschuß des Jahrs (ev. Monats) zu addieren. Burnaby gibt in seinem Werke den Moled Tišri der Zyklen von 1—10014 W. Ä. (Taf. IX) sowie in Taf. VI. VII die Überschüsse. Loeb gibt in seinen Tafeln den Moled der Zyklen von 4561 — 6746 W. Ä. (Taf. XII. XIII). Für das zweite der obigen beiden Beispiele hat man z. B. mit den Zahlen bei Burnaby folgende kurze Rechnung:

W. Ä 5821
W. Ä. 5815 Moled = 6d5h834ch
6 Jahre = 1 6 362 

7d12h116ch

Ferner mache ich aufmerksam auf die in § 157 erwähnten Tafeln von Richter, welche für ein gegebenes Jahr den Moled ebenfalls leicht finden lassen.

Der Moled Tišri, dessen Wochentag und Tageszeit man mit diesen Hilfsmitteln erhält, sollte, da mit 1. Tišri das neue Jahr beginnt, zugleich das Neujahr (ראש האנה roš hašanah) anzeigen. Allein es kommt infolge gewisser Ausnahmefälle vor, daß roš hašanah nicht mit dem Tag des Moled übereinstimmen darf, sondern verlegt wird. Diese Ausnahmefälle (Dechijoth) sind:

1. Der Neujahrstag wird, wenn der- Moled Tišri um 18h jüdischer Zeit (d. h. 12h mittags) oder später eintritt, auf den nächsten Tag verlegt. Diese Dechijah heißt Moled יח Jach oder Moled saken, weil die bestimmende Zahl 18h sich aus den zwei Zahlen 10 + 8 zusammen­setzt, welche den Buchstaben י und ח entsprechen. Der Grund dieses Vertagungsfalls rührt davon her, daß man den Monatsbeginn mit dem Sichtbarwerden der Neumondsichel nicht ganz aufgeben will. Tritt der berechnete Moled Tišri zu einer Zeit ein, daß man voraussehen kann, die neue Sichel werde am Ende dieses Tages (abends 6h) noch nicht gesehen werden können, so verlegt man den Neujahrstag; als Grenze für die Eintrittszeit des Moled gilt der Mittag (18h jüd. Zeit).

2. Das jüdische Neujahr darf am Sonntag, Mittwoch und Freitag nicht beginnen; fällt der Moled Tišri auf einen dieser Tage, so wird Neujahr auf den nächsten Tag verlegt. Diese Dechijah heißt Moled אדו Adu, von den Buchstaben, welche den Tagen Sonntag, Mittwoch und Freitag zukommen (s. oben S. 85). Die Gründe für diese Vertagung sind im Talmud angegeben1.


1) Der Hauptgrund soll sein, daß jede Arbeit an den Sabbaten und Festtagen untersagt ist, also auch das Bereiten der Speisen; diese letzteren würden am Tage [Fortsetzung der Fußnote]

[92 VIII. Kapitel. Zeitrechnung der Juden.]

3. Wenn Moled Tišri auf Dienstag, Donnerstag, Sonnabend um oder nach Mittag fällt, verschiebt sich roš hašanah um zwei Tage, d. h. auf Donnerstag, Sonnabend, Montag. Dieser Vertagungsfall ist die Kombination der beiden vorhergehenden Fälle und heißt deshalb Jach-Adu. Denn fällt z. B. der Moled auf Dienstag nachmittag, so muß der Neujahrstag wegen Jach auf Mittwoch gelegt werden; da er aber wegen Adu nicht auf Mittwoch fallen darf, verschiebt man ihn auf Donnerstag, d. h. um 2 Tage.

4. Wenn in einem Gemeinjahr, welches auf ein Gemeinjahr folgt, der Moled Tišri auf Dienstag um oder nach 9h 204ch (d. h. 3h 11 13m morgens) trifft, so wird Neujahr auf den Donnerstag verlegt. Dieser Vertagungsfall führt die Bezeichnung גטר’ד Gatrad, von den Zahlen: ג = 3 (nämlich 3. Wochentag), ט = 9 (9h), 200 + 4 = רד. Denn in diesem Falle würde man, wenn vom Datum 3d 9h 204ch mit dem Charakter des Gemeinjahrs 4d 8h 876ch zum folgenden Gemeinjahr weiter gerechnet wird, auf 7d 18h d. h. auf Sonnabend mittag ge­langen; Neujahr müßte dann nach der Regel Jach-Adu erst Montag anfangen und das Jahr würde die unstatthafte Länge von 356 Tagen bekommen.

5. Folgt das Gemeinjahr auf ein Schaltjahr und trifft in ersterem Moled Tišri auf einen Montag um 15h 589ch (Vormittag 9h 32 1318m), so wird der Neujahrstag des Gemeinjahrs auf Dienstag verlegt. Dieser Fall heißt wegen 2d 15h 589ch ב (2), טו (15 = 9 + 6), הק (500 = 400 + 100), פט (80 + 9) Betutakpat. Subtrahieren wir vom Datum 2d 15h 589ch den Charakter des vorhergegangenen Schalt­jahrs 5d 21h 589ch, so kommen wir auf 3d 18h d. h. Dienstag mittag; wegen Jach-Adu muß der Neujahrstag auf Donnerstag verlegt werden. Dann hätte das Schaltjahr, wenn das Gemeinjahr mit Montag anfinge, eine Länge von 382 Tagen. Da eine solche Länge unstatthaft ist und das Schaltjahr wenigstens 383 Tage haben muß, so wird Neujahr um einen Tag, auf Dienstag verlegt. Zwischen dem Moled Jach und Betutakpat ist nur eine Differenz von 2h 491ch; wegen dieser engen Grenze, in welche der Moled Tišri fallen soll, und wegen der Bedingung, daß ein Schaltjahr vorausgehen soll, tritt der Fall Betutakpat sehr selten ein. Zuletzt trat diese Vertagung im Jahre 5519 W. Ä. (1758 n. Chr.) ein und wird erst wieder 5688 (1927 n. Chr.) vor­kommen.


[Anfang der Fußnote] vorher bereitet werden müssen. Diese Unbequemlichkeit wird noch größer, wenn auf den Sabbat unmittelbar ein Festtag folgt oder ihm vorangeht, man läßt also das Neujahr nicht auf Sonntag oder Freitag fallen. Das Versöhnungsfest (10 Tišri) soll ebenfalls auf keinen Sonntag oder Freitag treffen, deshalb darf auch Neujahr nicht auf Mittwoch und Freitag gelegt werden. Die Tage Sonntag, Mittwoch, Freitag bilden daher Ausnahmetage.

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