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[182 X. Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

§ 172. Jahreszeiten und Feste.

Über die ältesten Jahreszeiten der Römer ist nur wenig bekannt. Im Zivilrecht1 wird nur Sommer und Winter unterschieden; die ursprüngliche Teilung des Jahres scheint wie bei den Griechen (s. § 194) gewesen zu sein. Frühe wurde der römische Landmann darauf auf­merksam, daß der Wechsel des Naturlebens ungefähr mit den jähr­lichen Auf- und Untergängen markanter Sternbilder wiederkehrt. Man wurde also, wie in Griechenland nach Hesiod, zu einer Verknüpfung der hauptsächlichsten Abschnitte der landwirtschaftlichen Tätigkeit mit jenen Sternerscheinungen geführt. Der letztgenannte Dichter (im 8. Jahrh. v. Chr.) unterscheidet etwa folgende Phasen: das Früh­jahr fängt mit dem Spätaufgange (akronychischen Aufgange) des Arktur 60 Tage nach der Winterwende an; die Erntezeit beim Frühaufgang (heliakischen Aufgang) der Plejaden, 40 Tage nach deren Spätuntergang (heliakischem Untergang); dann folgt der Be­ginn der Dreschzeit beim Frühaufgang des Orion; der Frühsommer (ϑέρος) läuft 50 Tage nach der Sommerwende ab; es beginnt die Weinlese mit dem Frühaufgang des Arktur ; der Winter (die Winter­saatzeit) setzt mit dem Frühuntergang (kosmischen Untergang) der Plejaden, der Hyaden oder des Orion ein. Für Unteritalien und Sizilien, welche Länder unter der gleichen Breite (38°) wie Griechenland liegen, können wir mittels dieser Angaben, wenn wir auf Tafel I c dieses Werkes (s. Tafeln am Schlüsse) zurückgreifen, die Zeiten der Phasen für eine beliebige Epoche ermitteln. Für die Zeit am Ende des Königtums (500 v. Chr.) würden wir finden:


1) Dig. XLIII 13, 1, 8; 20, 1, 32.

[§ 172. Jahreszeiten und Feste. 183]
heliak.Unterg.derPlejaden5.April jul.
Aufg.20.Mai
kosm.Unterg.4.November jul.
akron.Aufg.desArktur26.Februar „
heliak.19.September „
Orion29.Juni jul.1;
demnach Anfang des Frühjahrs 26. Februar
Ernteanfang 20. Mai
Beginn der Dreschzeit 29. Juni
Ende des Frühsommers 50 Tage nach dem Sommersolstiz 29. Juni = 18. August
Beginn der Weinlese 19. September
Beginn der Winteraussaat 4. November.

Für die Breite von Rom können sich diese Daten, wie man aus der zitierten Tafel ersieht, um 3—5 Tage verändern. In ähnlicher Weise geben spätere griechische Schriftsteller, wie Euktemon, Eudoxos, Geminos u. a. die Hauptabschnitte des Jahres an, nur daß ihre Angaben detaillierter und in den Grenzen bestimmter sind oder sich bereits auf die zu den Monaten gehörigen Zodiakalzeichen beziehen. Die römischen Autoren, aus welchen wir Nachrichten über die Jahreszeiten entnehmen, nämlich Varro, Cato, Plinius und Columella, gehören der Zeit vom 2. Jahrh. v. Chr. bis zum 1. Jahrh. n. Chr. an; in ihren Schriften finden sich die Grundlagen, deren sich Caesar bei der Ansetzung der Jahr­punkte in seinem reformierten Kalender bediente (§ 187); sie ver­wenden für die Bezeichnung der Zeiten des Jahres ähnliche Angaben wie die Griechen. Es kommen bei ihnen vor: die beiden Tag- und Nacht­gleichen, Solstitien, der akronychische Aufgang des Arktur (Frühjahrs­anfang), der heliakische Plejaden­aufgang (Sommeranfang), der kosmische Untergang der Leier (Herbstanfang), der kosmische Plejaden­untergang (Winteranfang), der heliakische Aufgang des Arktur (Beginn der Wein­lese), der akronychische Plejadenaufgang (Ende der Weinernte). Daneben wird das Eintreten des warmen Frühjahrswindes, das Erscheinen der Schwalben, der ersten Schmetterlinge usw. als Kennzeichen der Ver­änderungen im Naturleben gebraucht; der Auf- und Niedergang der


1) Bei den Schriftstellern der klassischen Zeit und auch bei neueren kommen Verwechslungen in den Begriffen über die jährlichen Auf- und Untergänge der Gestirne vor; besonders werden wahre mit scheinbaren verwechselt. (Böckh, Üb. die vierjährigen Sonnenkreise der Alten, S. 93. 212 f.) Welche Definition in der Tafel I unseres Werkes der Rechnung zugrunde gelegt ist, findet man S. 209. 210 be­merkt, desgleichen betreffs der Sterne, welche mit den allgemeinen Bezeichnungen Orion und Plejaden gemeint sind.

[184 X. Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

Sterne wird weniger von den älteren Schriftstellern, als vielmehr von Plinius (besonders werden die Vergilien, d. h. Plejaden genannt) und Columella erwähnt; der letztere hat darauf einen förmlichen Kalender gegründet. Die Angaben der Autoren weichen in den Ansätzen der Daten hier und da voneinander ab, passen auch bisweilen nicht be­sonders für den Parallel von Rom. Im allgemeinen können wir aber daraus schließen, daß schon lange vor ihnen bei den Römern die Kenntnis jener Phasen, welche zusammengenommen ein Naturjahr repräsentieren, verbreitet war und daß sich die Arbeits- und Ruhe­zeit des Landmanns, die Schiffahrt und manche gewerbliche Tätig­keit danach richtete. Daß die Jahreszeiten auch im populären Sinne in der Literatur gebraucht werden, der Frühling als die Zeit zum Auszug in die Feldlager, der Herbst als das Ende der Kriegszeit usw., und daß irgend ein Datum von dem einen Autor in den Winter, von dem anderen schon in den Frühling gesetzt wird, versteht sich, in Anbetracht der Unbestimmtheit der Phasen, wenigstens für die ältere Zeit von selbst.

Mit dem alten Naturjahre steht ein Teil der römischen Feiertage (feriae) in Verbindung. Die feriae publicae waren entweder auf bestimmte Tage festgelegt (feriae stativae, statae) oder sie konnten willkürlich angesetzt werden (feriae conceptivae). Zu den ersteren gehören die meisten der sehr alten Feste. Von diesen haben mehrere ihrer Bedeutung nach einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Jahreszeiten. So die Robigalien, welche den Göttern aus dem Grunde gefeiert wurden, um von der jungen grünenden Kornsaat den Brand (Rostpilzkrankheit) fernzuhalten, demgemäß in das vorge­schrittene Frühjahr gehörten und, wegen einer astrologischen Beziehung des Hundsterns zur Sonne, von den Pontifices auf den Tag des (heliakischen) Untergangs des Sirius (25. April)1 gesetzt wurden. Die beiden Weinfeste, Vinalia (Vinalia priora, urbana und Vinalia altera, rustica), wurden am 23. April resp. 19. August gefeiert; das erstere Datum bezieht sich auf den Gebrauch, mit dem Ausschank des vorjährigen, ausgegorenen Weins im Frühjahr zu beginnen; das andere Datum, jenes der Vinalia rustica, bezeichnet die Zeit, in der die Trauben zu reifen anfangen und in welcher man die Erstlinge des früh­reifen Weins dem Jupiter opferte; nach Varro ist es die Zeit um den (kosmischen) Untergang der Leier (Herbstanfang)2. Ferner


1) Ovid., Fast. IV 901. 905; Plinius, Hist. nat. XVIII 29, 285; Festus, Ep. s. v. Robigalia, p. 267, M: Robigalia dies festus VII. Kal. Maias (= 25. April), quo Robigo deo suo, quem putabant robiginem avertere, sacrificabant.

2) Plinius, Hist. nat. XVIII 29, 287: Vinalia priora, quae ante hos dies sunt IX. Kal. Mai (= 23. April) degustandis vinis instituta; XVIII, 28, 289: Extra has causas sunt Vinalia altera, quae aguntur a. d. XIV. Kal. Sept. (= 19. Sextilis). — Der [Fortsetzung der Fußnote]

[§172. Jahreszeiten und Feste. 185]

weisen die alten Volksfeste der Fordicidia (15. April), der Parilia (Parilia, 21. April) und der Cerealia (19. April) auf ihre Abhängig­keit von der Jahreszeit hin, denn alle drei waren Hirten- oder Frühlingsfeste, mit Opfern für die Fruchtbar­keit des Jahres, und mußten daher ins Frühjahr fallen. Auch an Festtagen, die nicht feriae stativae waren, sondern conceptivae blieben (oder erst spät fixiert wurden), läßt sich ein Zusammen­hang mit den Jahreszeiten erkennen; so an den Floralien, welche erst im 2. Jahrh. v. Chr. ans Ende des Aprilis gesetzt wurden, an den Saturnalien, welche ihrer ursprüng­lichen Bedeutung als Schluß des Ackerbaues und Beendigung der Winteraussaat gemäß vor das Wintersolstiz gesetzt, aber erst Anfang des 3. Jahrh. v. Chr. auf den 17. Dezember fixiert wurden, und vielleicht auch an den mit den Saturnalien in Verbindung stehenden Opalien und Consualien; endlich noch an den schwankenden feriae sementinae1, welche sich auf das Gedeihen der Aussaat bezogen (wie die Ambarvalien Ende Mai auf die Sommeraussaat). Daß die Namen der Monate Martius, Aprilis, Maius und Iunius ebenfalls auf Jahres­zeiten, den Frühling und den beginnenden Sommer, hindeuten, wurde schon (S. 170 f.) hervorgehoben; die meisten der oben­genannten Frühlingsfeste fallen in den Aprilis. Auf die Konsequenzen, die sich aus den Beziehungen der Feste zu den Jahreszeiten ergeben, komme ich weiter unten zurück und fahre hier in der Aufzählung derjenigen feriae fort, welche zum alten Bestände des römischen Festkalenders gehören.

Die alten, an bestimmten Tagen des Jahres gefeierten Gemeinde­feste sind in den Kalendarien der Kaiserzeit mit NP bezeichnet, was auf ihren feierlichen Charakter (s. oben S. 178) hinweist; der Name dieser Tage wird mit großen Buchstaben geschrieben2. Es sind, nach den Monatstagen geordnet, folgende:


Ianuarius.
Februarius.
Martius.
9.
Agonalia 15.Lupercalia 14.Equirria
11.}Carmentalia 17.Quirinalia 17.Liberalia Agonalia.
15. 23.Terminalia 19.Quinquatrus





23.Tubilustrium

[Anfang der Fußnote] kosmische Untergang der Leier fällt für Rom um Christi Zeit etwa 23. August jul. Über den Herbstbeginn bei Varro s. Hartmann S. 171. 198.

1) Varro, De ling. lat. VI 36: Sementinae (sementivae) feriae, dies is, qui a pontificibus dictus, appellatus a semente, quod sationis causa susceptae.

2) Allerdings sind unter diesen mit großen Buchstaben geschriebenen Tagen mehrere, welche wahrscheinlich erst im Laufe der Zeit feriae stativae geworden sind.

[186 X. Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

Aprilis.
Maius.
Iunius.
15.
Fordicidia 21.Agonalia ( 9.Vestalia)
21.
Parilia 23.Tubilustrium (10.Matralia.)
23.
Vinalia priora



25.
Robigalia




Quintilis.
Sextilis.
October.
5.
Poplifugia 17.Portunalia 11.Meditrinalia
19.}Lucaria 19.Vinalia rustica 13.Fontinalia
21. 21.Consualia 19.Armilustrium
23.
Neptunalia 23.Volcanalia

25.
Furrinalia 25.Opiconsivia




27.Volturnalia






December.


11.Agonalia


15.Consualia


17.Saturnalia


19.Opalia


21.Divalia


23.Larentalia.

Hierzu gehören noch: 1. Kalend. Martiae, der alte Neujahrstag, sowie die Augustalia (12. Oktober), welche erst in der Kaiserzeit, als Augustus 19 n. Chr. nach Rom zurückkehrte, eingeführt wurden; ferner folgende, mit N bezeichnete (halbe Feiertage, Büß- oder Sühnetage):

21.FebruarFeralia
24.Regifugium
19.AprilCerealia
9. 11. 13.MaiLemuria

In die Monate September und November fallen keine alten feriae. Der Ursprung der meisten der genannten Feste geht bis in die König­zeit zurück, wird wenigstens dem Könige Numa zugeschrieben; während der Republik sind keine neuen hinzuge­kommen. Die wandelbaren Festtage, welche an jährlich bestimmten oder will­kürlich angesetzten Tagen oder erst nach längeren Perioden wiederkehrend erscheinen, sind in den Kalendarien nicht enthalten. Zu bemerken ist noch, daß viele von den mit F bezeichneten Tagen zu den sogenannten dies atri (im weitern Sinne dies religiosi) gehören, an welchen man offizielle Amtshandlungen, sowie die mit Gebeten oder Opfern verknüpften Zeremonielle vermied. In der Kaiserzeit kam eine große Zahl von feriae zu dem alten Bestände hinzu: Stiftungsfeste von Heiligtümern (natales), Gedenktage an Siege, Geburtstage von Kaisern und anderen Personen usw., besonders aber eine große Zahl von Spielen (ludi), die

[§ 172. Jahreszeiten und Feste. 187]

schließlich auf 175 stieg. Ursprünglich waren aus der Zeit der Republik nur 7 Spiele übernommen worden, nämlich: 1. die ludi Ceriales (12.—19. April) zur Erinnerung an die Gründung des Ceres­tempels; 2. die ludi Megalenses (4.—10. April) zu Ehren der mater magna auf dem Palatin; 3. die ludi Florales (Floralia, 22. April — 3. Mai) zur Erinnerung an die Gründung des Floratempels; 4. die großen ludi Apollinares (6.—13. Juli), dem Gotte Apollo gewidmet; 5. die ludi Romani (4.—19. Sept.), dem Jupiter geweiht; 6. die ludi victoriae Sul­lanae (26. Okt.—1. Nov.) zum Gedächtnis des Sieges Sullas über die Samniter; 7. die ludi plebeii (4.—17. Nov.) im Circus Flaminius.

Wie wir oben (S. 184 f.) gesehen haben, besteht zwischen dem Datum verschiedener Feste und den Jahreszeiten ein entschiedener Zusammenhang. Aus der Bedeutung dieser Feste und aus den mit ihnen verbundenen Opfern ergibt sich, daß die Ordner des Kalenders sich bestreben mußten, diese Feste möglichst an den ihnen zukommen­den Stellen der Jahreszeiten zu feiern: die Robigalien in der Zeit, bevor das Getreide sehr herangewachsen war, die Vinalia rustica in den Tagen, wo gewöhnlich die Trauben sich zu färben anfingen usw. Es fragt sich, wie in der ältesten Zeit diese Bestimmungen gemacht werden konnten, da doch die eigentliche Zeitrechnung der Römer, die bürgerliche, nach der datiert wurde, die nach dem Monde war.

Das alte Lunisolarjahr der Römer war, wie wir in § 178 sehen werden, so unvoll­kommen, daß es, wenn für längere Zeiträume gesorgt werden sollte, weder der Sonnenbewegung noch dem Mondlaufe genügen konnte. Man hat deshalb, um die Bestimmung der Festdaten zu erklären, zu verschiedenen Annahmen gegriffen. Theodor Mommsen proponierte ein besonderes, von Eudoxos oder anderen Quellen her­stammendes „Bauernjahr“, das ein Sonnenjahr vorstellte und für die Jahrpunkte, Sonnen­stände und Stern- Auf- und Untergänge die ent­sprechenden Daten gab. Hartmann wollte dieses Sonnenjahr nicht von den Griechen entlehnt wissen, sondern direkt auf die Babylonier zurückführen. Soltau suchte in die alten, rohen Bestim­mungen von Hesiod (s. oben S. 182) einen besonderen Wert zu legen, indem er annahm, das Hesiodsche Jahr habe 365 14 Tage gehabt und sei seit den ältesten Zeiten in Italien bekannt gewesen. Von diesen Hypo­thesen haben die beiden ersten etwas für sich. Die verschie­denen griechischen Parapegmen, die von Meton, Euktemon, Eudoxos, Kallippos aufgestellt worden sind und dem 5. und 4. Jahrh. v. Chr. angehören, lassen den Schluß zu, daß man die Länge des Sonnenjahrs ungefähr, d. h. soweit kannte, um richtig angeben zu können, wann etwa die jährlichen Stern-Auf- und Untergänge stattfinden, wann die Sonne in die Jahrpunkte tritt u. dgl. Wenn man also den Römern das Annehmen ausländischen Wissens beilegen will, so ist das Zurück-

[188 X Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

gehen auf griechische Quellen statthaft für das 5. Jahrhundert; für noch früher könnten die Babylonier angenommen werden, da deren Astronomie, wie zu wiederholten Malen in diesem Werke betont worden ist, jetzt als viel älter gilt und erheblich früher eine höhere Stufe erreicht hat, als die der Griechen. Dagegen ist ein Hesiod­sches Sonnenjahr1 von 365 14 Tagen für die alte Zeit, von der hier die Rede ist, für die Zeit des Königtums, völlig unmöglich. Diese Annahme übersieht die großen Schwierig­keiten, welche sich den Alten in der Erkenntnis des Vierteltag-Überschusses des tropischen Jahres entgegenstellen mußten. Die Konstatierung des Vierteltags ist viel­mehr erst der Schluß des ganzen, langen Entwicklungsganges, den der Ausbildungs­prozeß des Jahres bis zur Zeit des Eudoxos herauf genommen hat; hätten die Römer den Vierteltag schon in der alten Zeit gekannt, so würde die Jahr­entwicklung bei ihnen von Anfang an auf das Ziel eines regulären Sonnenjahrs ausgegangen sein und eine Kalenderreform Caesars hätte es nie gegeben. Den Vierteltag hat im Altertum kaum jemand vor Eudoxos (etwa 408—355 v. Chr.) sicher erkannt (abgesehen viel­leicht von den babylonischen Astronomen — aber selbst für diese jetzt zweifelhaft —), und dieser wohl auch nur aus dem geheim gehaltenen Wissen der ägyptischen Priester.

Es liegt nun aber der Gedanke nahe, daß wir aus den in den bisherigen Kapiteln dieses Werks über die Zeitrechnung anderer Völker mitgeteilten Tatsachen auch einen Schluß betreffs der Römer ziehen können. Bei Gegenständen, wo uns die Nachrichten der Klassiker völlig im Stich lassen und wo wir nur auf den Wahr­scheinlichkeits­schluß angewiesen sind, dürfte es geradezu geboten sein, den einseitigen historischen Standpunkt zu verlassen und mehr auf die kulturhistorische Seite der Chronologie, d. h. die in ethnologischer Hinsicht sich bei anderen Völkern darbietenden Parallelen Rücksicht zu nehmen. Wir haben gesehen, in welcher Weise anderweitige Kultur­völker mit der Regelung ihrer Feste zurecht gekommen sind. Bei den Ägyptern mußte konstatiert werden (I 208), daß die Mehrzahl ihrer Feste infolge des Wandeljahrs (365 Tage) alle Jahreszeiten durchlief, daß aber die Feste, welche mit den Verände­rungen des Nil­standes und mit gewissen Sonnenständen verbunden waren, durch astrono­mische Beobachtungen auf ihre ungefähr entsprechende Stelle im Jahre immer wieder zurück­gebracht wurden. Die gahanbar der alten Perser, gewissermaßen Jahrpunkte und Jahrzeitfeste zugleich,


1) Eigentlich nichts weiter als ein Naturjahr; die von Hesiod angegebenen Regeln für die Feld- und Hausarbeit knüpfen sich an die jährlichen Auf- und Untergänge der Hauptsterne und sind für eine Zeitbestimmung ganz roh. Durch Hineintragen der von den viel späteren griechischen Astronomen gefundenen Intervalle hat man, die Sache aufbauschend, ein 365tägiges Sonnenjahr gemacht.

[§ 172. Jahreszeiten und Feste. 189]

fanden wir (I 286) wandelbar, aber doch dem Versuche unterworfen, sie durch Schaltungen in großen Perioden zu denselben Zeiten zurück­zuführen. Auch die chinesischen und japanischen Feste (I 484 f.) sahen wir mit den Jahreszeiten teilweise verknüpft, und in der alt­jüdischen Zeitrechnung bemerkten wir, in welch einfacher Weise die vormosaischen Feste, das Massoth und das Wochenfest, welche an das Frühjahr gebunden, und das Hüttenfest, welches an den Herbst ge­fesselt war, betreffs ihres Standes in den Jahreszeiten kontrolliert wurden. Ferner zeigen uns die Naturvölker (s. S. 130, 143, 144, 145, 149), daß selbst auf noch tiefer Entwicklungsstufe der Zeitrechnung, ohne alle astronomische Kenntnisse, die Zeit der Feste ermittelt werden kann, wenn an die Sicherheit dieser Bestimmung noch keine höheren Anforderungen gestellt werden. In diesem letzteren Falle befanden sich aber auch die Kulturvölker, als sie ihre Zeitrechnungen zu be­gründen anfingen. In den Anfängen dieser Entwicklung sind noch alle Zeitbegriffe schwankend. Wenn wir also bei den Römern sehen, daß sie noch zur Zeit der Decemvirn ein Schaltungssystem gebrauchen, bei welchem die Durchschnittslänge des Sonnenjahrs 366 14 Tage ist, ja nicht einmal das Mondjahr seine richtige Durchschnittslänge (355 statt 354 Tage) hat, so können wir uns vorstellen, daß die Anforde­rungen, die sie an die Bestimmung der Rückkehrzeiten der Feste gestellt haben, in der alten Zeit noch nicht strenge gewesen sind. Wie sich aus dem Umstände ergibt, daß die Feste jedesmal für einen Monat erst nach Neumond von den Pontifices verkündet wurden, sind die Festzeiten anfänglich alle feriae conceptivae gewesen. Man hat bezweifelt, ob die Pontifices astronomische Beobachtungen gemacht haben, ein sonderbarer Zweifel, da wir doch überall die Priester als die Ordner des Kalenders beschäftigt finden (schon bei den Natur­völkern), solche Bestimmungen, wenn auch sehr einfacher Art, zu machen. Zu solchen einfachen Verfahrungsarten gehört für die älteste Zeit das Mittel der Orientierung. Wir haben schon bei einigen Naturvölkern gesehen, wie dasselbe angewendet wird. Die Azimutal­bewegung der Sonne im Horizonte liegt jahraus jahrein für jeden gegebenen Parallel so gut wie fest, ändert sich wenigstens äußerst langsam. Durch Verfolgung der Auf- und Untergangspunkte der Sonne während einer Reihe von Jahren ergab sich ein roher Begriff von dem Umfang des Jahres1 und man konnte schließlich ungefähr


1) Die Azimutpunkte, welche die Sonne unter der Breite von Rom erreichen kann, sind am längsten Tage bei Sonnenaufgang 238° (bei Sonnenuntergang 122°), am kürzesten 302° resp. 58°; die Sonne legt also im Lauf eines Jahres am Ost- resp. Westhorizont eine Bewegung von 64° zweimal zurück. Die Veränderung des Azimuts der Sonne beträgt um die Zeit der Äquinoktien in der Woche etwa [Fortsetzung der Fußnote]

[190 X. Kapitel. Zeitrechnung der Römer.]

angeben, um welche Zeit (bis auf einige Tage) die Sonne bei ihrem Auf- oder Untergange gewisse Punkte am Horizonte erreicht haben werde. War man gewöhnt, um jene Zeit ein Fest zu feiern, so ließ sich die nächstjährige Zeit der Wiederkehr des Festes dadurch an­geben, daß man den Azimutalpunkt durch irgend eine irdische Marke von einem fixierten Beobachtungspunkte aus festlegte. Diese aller­dings mangelhafte Himmelsuhr ging erst allmählich, nach Jahr­hunderten, nicht mehr richtig. Solche irdischen Beobachtungsmarken haben wir z. B. die Indianer für die Bestimmung ihres Winterfestes errichten sehen. Die Kulturvölker errichteten haltbarere Marken, die Tempel ihrer Gottheiten. H. Nissen hat gezeigt1, welche Wichtigkeit die Orientierung der Tempelachsen für die Kultur- und Religions­geschichte besitzt; die meisten antiken Tempel sind mit ihrer Haupt­achse gegen den Ort des Sonnenaufgangs gerichtet, namentlich die meisten der griechischen. Bei vielen war aber auch das Azimut des Aufgangs heller Sterne maßgebend. Es konnte nachgewiesen werden, daß in vielen Fällen das Azimut der Sonne zur vermutlichen Zeit der Gründung der Tempel auf den Tag oder doch den Monat fällt, an welchem das Hauptfest des Tempels gefeiert worden ist. Betreffs mancher Feste, über deren chronologische Lage derzeit noch nichts bekannt ist, konnte Nissen sogar aus dem gemessenen Azimut des Tempels und der etwa vorhandenen Beziehung der Tempelgottheit zu Sternbildern einen Rückschluß auf den Monat der Feste wagen. Wir dürfen also annehmen, daß auch die römischen Pontifices von der Orientierung Gebrauch gemacht haben in der Zeit, wo sich der Kalender noch in der ersten Entwicklung befand. Sie werden den Jahrestag, an welchem ein Fest gefeiert werden sollte, durch das Azimut der Sonne an diesem Tage oder durch den Aufgang eines hellen Sternes oder Sternbildes festgelegt haben. Zur jeweiligen Auf­findung des Azimuts benutzte man Landmarken oder orientierte danach die Achsen mancher Tempel. Zu diesen Operationen bedurften die Pontifices weder astronomi­scher Kenntnisse noch gelehrter Berechnungen, — auch nicht der Länge des Sonnenjahrs von 365 14 Tagen. Schließ­lich werden sie, sobald sie über die Veränderlichkeit der Azimutal­bewegung der Sonne während des Jahres im klaren waren, gestützt auf festgelegte Azimute, die Tage der Feste mittels einfacher Rech­nung haben angeben können. Außerdem kamen ihnen die jährlichen Auf- und Untergänge der hellen Hauptsterne, wie des Sirius und Orion, des Arktur und der Plejaden, bei der Abmessung der Zeit der


[Anfang der Fußnote] 4°, eine Größe, die an Steinmarken, die etwa mit einer Visiervorrichtung versehen waren, sehr wohl wahrgenommen werden konnte,

1) Orientation, Studien zur Geschichte der Religion, Berlin 1906/7.

[§173. Die römischen Festtage in den Kalendarien. 191]

Feste gegen die Jahreszeiten zu Hilfe. In bezug auf den Sirius befand man sich unter dem Parallel von Rom nicht ungünstiger als die Ägypter, da für diese Breite (wie man aus Tafel I c ersieht), die heliaki­schen Auf- und Untergänge dieses Sterns durch 800 Jahre hindurch nahezu auf denselben beiden Tagen haften bleiben, die Auf­gänge auf dem 2. August, die (erheblich leichter beobachtbaren) Untergänge auf dem 29. oder 30. April; auch Orion stand für die Breite Roms günstig. Durch Beob­achtung dieser jährlichen Erschei­nungen der Hauptsterne, die freilich wegen der Unsicherheit solcher Beob­achtungen für sich allein nicht zu genauerer Kenntnis der wahren Jahres­länge führen konnte, mußte man dazu gelangen, die Zwischenzeiten an­zugeben, die zwischen diesen Erscheinungen und den einzelnen Haupt­phasen der Jahreszeiten verfließen. Man braucht also nicht auf griechisches Wissen oder noch entferntere Grundlagen zurückzugreifen, um bei den Pontifices einen ungefähr mit der Natur überein­stimmenden Kalender vorauszusetzen. Sie konnten einen solchen auch selbst finden. So unvoll­kommen der Kalender war, so genügte er doch in den Zeiten des mangelhaften Lunisolarjahrs, um die zeitliche Lage der Festtage gegen die Jahres­zeiten und gleichzeitig gegen die Tage der Mondmonate angeben zu können. Man hatte nun auch die Möglichkeit, jene Feste, bei denen es wünschenswert war, zu fixieren; so konnten frühe schon die feriae stativae eingeführt werden. Wahr­scheinlich haben die Pontifices diesen Naturkalender hin und wieder nach Beobachtungen zu verbessern gesucht; die Tatsache, daß sie ihre Manipulationen mit dem ganzen Kalenderwesen geheim zu halten ver­suchten, weist wenigstens darauf hin. An alten Bestimmungen der Festzeiten hält das Volk, wie wir anderweitig in der Geschichte der Chronologie sehen, beharrlich fest; so hat auch Caesar bei seiner Kalenderreform die Lage, welche den Festen von altersher zugemessen war, so viel wie möglich respektiert.

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